Filmkritik: Interstellar

Wenn der Mensch jemals einen großen Traum hatte, dann war es das Erforschen des Weltraums, die unendlichen Weiten jenseits des Sichtbaren, das Vordringen in fremde Sternensysteme. Als sich die Amerikaner im Juli 1969 diesen Traum erfüllten, schien alles möglich zu sein. Auf diesem Gedanken basieren viele moderne Science Fiction-Filme, von denen der inspirierendste und visuell eindrucksvollste bis heute wahrscheinlich Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum ist. Und genau auf diesen Spuren wandelt Christopher Nolan mit seinem Interstellar.
Der Film beginnt mit einer immens langen Exposition, die mehr als eine Dreiviertelstunde in Anspruch nimmt. Wir befinden uns in einer unbestimmten, aber nicht allzu entfernten Zukunft auf der Erde, die von Sandstürmen heimgesucht wird, die wiederum dafür verantwortlich sind, dass der Mensch kein Getreide mehr anpflanzen kann, weswegen die Nahrungsmittel knapp werden. Cooper (Matthew McConaughey) lebt mit seinen beiden Kindern Murph und Tom sowie dem Schwiegervater als allein erziehender Vater auf einer kleinen Farm im Nirgendwo. Das Farmerleben langweilt den einstigen Raumpiloten aber immens, weswegen er einer Gravitations-Anomalie, der er im Zimmer seiner Tochter entdeckt, auf den Grund gehen will und dabei zufällig auf den geheimen Stützpunkt der als nicht mehr existent geltenden NASA stößt, die im Verborgenen und unter der Leitung des renommierten Wissenschaftlers Dr. Brand (Michael Caine) eine neue Heimat für die Menschheit sucht.

Diese Einführung nimmt fast ein Drittel des Films ein - und dennoch ist Nolans Erzähltempo hier sehr flott: Die Koordinaten zum NASA-Stützpunkt sind schnell gefunden, Cooper wird sofort (und ohne Training) zum Piloten des komplexen, gefährlichen Raumfahrtprojekts auserkoren und hat nur einen Tag Zeit, sich von seiner Familie, vor allem der kleinen Murph, zu verabschieden. Insgesamt jedoch ist die Exposition wirklich sehr schön inszeniert, baut die Geschichte ruhig auf und lässt vor allem eine Beziehung zwischen den Charakteren und dem Zuschauer entfalten. Dann geht es hinaus in die Stratosphäre. Das Missionsziel der vier Wissenschaftler (von denen eine Anne Hathaway ist) ist es, durch ein Wurmloch zu fliegen und drei weit entfernte Planeten aufzusuchen, auf denen vor einigen Jahren schon jeweils ein Wissenschaftler gelandet ist, der dort herausfinden sollte, ob "sein" Planet ein geeigneter Platz für die Menschheit wäre. Ab hier beginnt ein Weltraumabenteuer, das Kubrick visuell sehr gefallen hätte. Nolan zieht hier wirklich alle Register der Filmkunst, und lässt die Bilder - vor allem im IMAX-Format natürlich - wie Kunstwerke, wie malerische Kompositionen erscheinen.

Nach zwei Dritteln des Films hat dann auf einmal der menschliche Antagonist seinen Auftritt. Gespielt von einem der größten Hollywoodstars unserer Zeit (aus Spoiler-Gründen bleibt der Name natürlich geheim) nimmt die Rolle durchaus mehr Raum in Anspruch, als zunächst gedacht und wirkte auch insgesamt eher wie nachträglich in das Gesamtkonzept integriert. In jedem Fall baut Nolan mit ihm eine gewisse Spannung auf und dank der geschickten Parallelmontagen mit den Ereignissen auf der Erde gelingt ihm das auch sehr gut. Dennoch ist dieser episodenhafte Einschub nur ein kleines Rädchen des großen Ganzen. Denn die letzte halbe Stunde von Interstellar ist es dann, die die Zuschauer im Kinosaal spalten wird. Denn auf einmal wird aus Gravity eher Contact, oder eben: 2001. Nolan verabschiedet sich nun nach Wurmloch- und Relativitätstheorie auch vom letzten bisschen "realer" Science Fiction und betritt einen... poetischen Raum, der den Schlüssel zu den anfänglichen Ereignissen der Geschichte darstellt.

In jedem Fall ist schnell klar, dass Nolans Vorbilder hier eindeutig Kubrick oder eben Robert Zemeckis' Contact sind - und nicht Gravity oder Apollo 13. Er erzählt hier eine Geschichte über Hoffnung, Liebe und... gewissermaßen auch Glaube, und will das dennoch alles wissenschaftlich erklären. Für diese Wissenschaft war unter anderem der theoretische Physiker und Gravitations-Experte Kip Thorne verantwortlich. Diese Zusammenarbeit zeigt sich dann auch in den zuweilen recht anstrengenden Dialogen, wenn die Protagonisten über Zeitreisen und andere physikalische Phänomene philosophieren, ihre Erläuterungen am Ende dann aber irgendwie doch nur Lug und Trug zu sein scheinen. Doch jenseits von diesen kleineren Schwächen in Dramaturgie und Dialog ist Interstellar eine bildgewaltige Space Opera, die man durchaus mit Kubricks 2001 vergleichen kann. Der Ton ist formidabel (und bei Szenen außerhalb der Raumschiffe auch physikalisch korrekt nicht existent), Hans Zimmers Musik zu meiner Großen Freude frisch, episch und packend und Matthew McConaughey ein emotionaler Held, der vor allem in den ruhigen, dramatischeren Momenten zeigt, dass er mittlerweile wirklich einer der besten seiner Generation ist.

Interstellar ist letztendlich kein vollendetes Meisterwerk geworden, aber wenn man in 50 Jahren über den Science Fiction-Film spricht, wird Nolans Film mit Sicherheit auch Erwähnung finden, wenn gezeigt wird, wie Filmemacher versucht haben, in Stanley Kubricks Fußstapfen zu treten. Denn davon abgesehen ist der Film ein visuelles Spektakel, das man selten auf der Leinwand zu sehen bekommt und alleine deswegen schon einen (IMAX-) Kinobesuch wert ist.

★★★★☆


Originaltitel: Interstellar

Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Jonathan Nolan & Christopher Nolan
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Musik: Hans Zimmer

Darsteller:
Matthew McConaughey ... Cooper
Anne Hathaway ... Amelia Brand
Jessica Chastain ... Murph
Mackenzie Foy ... Murph (jung)
Michael Caine ... Professor Brand
Casey Affleck ... Tom
Topher Grace ... Getty
Ellen Burstyn ... Murph (alt)
John Lithgow ... Donald
David Oyelowo ... Principal
Wes Bentley ... Doyle
David Gyasi ... Romilly
Bill Irwin ... TARS
Josh Stewart ... CASE
Timothée Chalamet ... Tom (jung)

USA/UK 2014, 169 Min.
Paramount Pictures
Kinostart: 06. November 2014
FSK 12

Trailer:

Kommentare