Filmkritik: Die Tribute von Panem: Mockingjay - Teil 1
Francis Lawrence' Mockingjay Teil 1 zeigt nun mehr als offensichtlich, was das wahre Problem hinter solch einer Aufteilung ist: Es fehlt an einer wirklichen Dramaturgie, es fehlt an Spannung und vor allem: an einem wirklichen Finale. Nicht, dass man unbedingt immer große Schlachten und Action benötigt, aber was Lawrence (im Übrigen weder verwandt noch verschwägert mit Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence) hier zeigt, ist doch irgendwie eine zweistündige Einleitung zu eben jenem Finale, das wir dann in einem Jahr endlich sehen dürfen.
Der Film beginnt direkt nach den Ereignissen, mit denen Catching Fire geendet hatte: Katniss wurde von den Rebellen um Plutarch (Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle, die er im nächsten Jahr noch einmal darstellen wird) in die geheimen Katakomben im ehemaligen District 13 gebracht, während Peeta vom Capitol geschnappt wurde. Und hier stehen wir schon vor einem weiteren großen Problem: Peeta, gespielt von Josh Hutcherson, hat von 123 Filmminuten vielleicht zehn Minuten Screentime - und das ist schon optimistisch geschätzt. Und das Schlimmste daran: Er ist bis auf die Schlusssequenz nur via Fernsehübertragung zu sehen. Dort scheint er wie nach einer Gehirnwäsche mit Stanley Tuccis Fernsehmoderator Caesar zu plaudern und von der Rebellion abzuraten - Verrat in Augen aller in District 13. Nur Katniss glaubt weiterhin an ihn. Das ist also quasi so, als wäre Han Solo in Die Rückkehr der Jedi-Ritter nicht die ersten 20, sondern die ersten 120 Minuten lang in Karbonit eingefroren gewesen, um dann zum Finale kurz mal aus seinem "Winterschlaf" zu schlüpfen. Wie kann man seinen Titelhelden hier komplett isolieren, oder eher: aus der Handlung entfernen? Kein Wunder, dass man so zweifelsohne mit dem (vor allem in Bezug auf die ersten beiden Teile) weitaus präsenteren und heldenhafteren Gale (Liam Hemsworth) sympathisiert und die ganze Zeit über denkt: Scheiß auf Peeta, liebe Katniss, und nimm Gale!
Was in den 123 Minuten passiert, ist schnell erzählt: Katniss tritt der Revolution als Vorzeigeheldin bei, wird deren Spotttölpel. Damit es allerdings soweit ist, muss sie das Grauen, das das Capitol um Präsident Snow (Donald Sutherland) angerichtet hat, erst einmal mit eigenen Augen sehen. Leider hat ihr Auftritt den Tod hunderter Verletzter in einem Lazarett zur Folge, was aber scheinbar niemandem klar zu sein scheint. Propagandavideos werden gedreht, ein Bombenangriff ausgesessen und zum Schluss Peeta und die anderen Tribute aus den Fängen des Capitols befreit. This is it. Mehr geschieht einfach nicht. Dass Mockingjay dennoch nicht langweilig ist, liegt zum Großteil an einer bemerkenswerten Tatsache: den vielen guten Charakteren. Denn auch wenn Peeta kaum zu sehen ist und Katniss zweifelsohne die Hauptfigur ist, gibt es sowohl bei Suzanne Collins' Vorlage, als auch im Drehbuch von Peter Craig und Danny Strong eine ganze Reihe starker Nebenfiguren, die alle ihren mehr oder weniger kleinen Auftritt haben. Neben Hemsworth und Seymour Hoffman stechen wie schon in den Vorgängern vor allem Woody Harrelsons Haymitch und Elizabeth Banks' Effie klar heraus, die für den Humor und den wichtigen Unterhaltungswert der Geschichte sorgen. Auch Sam Claflin, Jeffrey Wright oder Natalie Dormer haben ihre schönen Momente. Julianne Moore, als Rebellen-Präsidentin Coin eine der Neulinge des Casts, hingegen bleibt, wie ihre Haare, sehr blass und eindimensional, was durchaus schade ist.
Der Moment, in dem Katniss am Flussufer sitzt und anfängt "Hanging Tree" zu singen ist dann aber zweifelsohne eine der großen Gänsehaut-Szenen des Jahres. Das Lied bleibt noch weit über den Abspann hinaus ein richtiger Ohrwurm, was natürlich vor allem Komponist James Newton Howard zu verdanken ist, der auch hier wieder einmal ganze Arbeit geleistet hat. Und auch die überdeutliche Parallele zum Nationalsozialismus, oder dem Kriegstreiben generell, inszeniert Lawrence im Grunde gut: Die dramatischen Angriffe der Bomber auf Distrikt 13, die panischen Menschen im Luftschutzbunker, das Drehen von Propagandavideos, egal ob von der Seite der Rebellen oder des Capitols aus, das Besichtigen von zerstörten Kriegsschauplätzen oder die tödlichen Aufstände in den verschiedenen Distrikten. Denn ob Science Fiction-Dystopie oder Historie - Krieg ist immer eins: unmenschlich, gnadenlos, tödlich.
Optisch kann man Mockingjay natürlich auch nicht viel vorwerfen, alles fügt sich in das Erscheinungsbild der bisherigen Teile der Serie ein. Doch am Ende muss man sich eingestehen, dass man inhaltlich kein großes Stück vorangekommen ist, wenn Katniss nach zwei Stunden brüllt, dass man nicht aufgeben und die Revolution durchführen wolle. Das war allen 123 Minuten zuvor auch schon klar. Bleibt zu hoffen, dass wir in einem Jahr dann das versöhnliche Finale erleben, auf das wir hier nun in aller Ruhe und Länge ausführlichst vorbereitet wurden. Ansonsten muss man wirklich die Maze Runner-Macher loben: Die teilen nämlich erfreulicherweise den dritten Teil der Buchreihe nicht auf zwei Filme auf. Jedenfalls bislang noch nicht.
★★★☆☆
Regie: Francis Lawrence
Drehbuch: Peter Craig & Danny Strong
basierend auf dem (halben) Buch von Suzanne Collins
Kamera: Jo Willems
Musik: James Newton Howard
Darsteller:
Jennifer Lawrence ... Katniss Everdeen
Josh Hutcherson ... Peeta Mellark
Liam Hemsworth .. Gale Hawthorne
Woody Harrelson ... Haymitch Abernathy
Donald Sutherland ... Präsident Snow
Philip Seymour Hoffman ... Plutarch Heavensbee
Julianne Moore ... Präsidentin Alma Coin
Willow Shields ... Primrose Everdeen
Sam Claflin ... Finnick Odair
Elizabeth Banks ... Effie Trinket
Jena Malone ... Johanna Mason
Jeffrey Wright ... Beetee
Paula Malcomson ... Katniss' Mutter
Stanley Tucci ... Caesar Flickerman
Natalie Dormer ... Cressida
USA 2014, 123 Min.
StudioCanal
Kinostart: 20. November 2014
FSK 12
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