Filmkritik: Die langen hellen Tage

Unschuldig sind sie schon lange nicht mehr, die beiden jungen Protagonistinnen Eka (Lika Babluani) und Natia (Mariam Bokeria). Während 1992 der georgische Bürgerkrieg herrscht, müssen sie die beiden 14-jährigen Mädchen in einer Welt zurechtfinden, die sie über Nacht zu Erwachsenen gemacht hat. Die langen hellen Tage vom Regieduo Nana Ekvtimishvili und Simon Groß (die 2007 schon an Fata Morgana zusammen gearbeitet haben) ist eine emotionale Coming-of-Age Geschichte, die dank ihrer unverbrauchten, tollen jungen Darstellerinnen überzeugen und den Zuschauer in eine von Unruhen und Gewalt geprägte Gesellschaft zieht – und dabei immerzu geradewegs dokumentarisch bei seinen beiden Hauptfiguren bleibt: in der Schule, in der sie Probleme mit der strengen Lehrerin haben, auf dem Heimweg, wo sie von zwei halbstarken Jungs bedroht werden, zu Hause, wo die Familienverhältnisse zerrüttet sind.

Als Natia schließlich bei der öffentlichen Brotausgabe geradezu gekidnappt wird und niemand außer Eka etwas dagegen zu unternehmen versucht, brechen die Emotionen durch: Reifer und ehrlicher als alle anwesenden Erwachsenen spricht sie aus, was niemand wahr haben will: Dieses Land steckt in einer tiefen Krise. Und viele Menschen scheinen sich wehrlos ihrem Schicksal hinzugeben. So gibt es anscheinend nur noch einen Ausweg: Den Griff zur Waffe. Und der endet, nach einer Hochzeit und einem Todesfall, mit einer der bewegendsten Szenen, die man seit Langem im Kino gesehen hat: In der Küche von Natias frisch angetrautem Ehemann kommt es zur Eskalation, wenn die Freundschaft von Natia und Eka zum letzten Mal – und schwerer als je zuvor – auf die Probe gestellt wird. Erwachsener als ihre Schwiegereltern es je sein könnten, stellen sich die beiden Mädchen ihrem Schicksal. Und treffen gemeinsam eine Entscheidung, die ihr beider Leben fortan prägen wird.

Der dokumentarische Stil des Film – die permanente, wackelige Handkamera, die tristen Farben, nur wenige Schnitte oder ganze Plansequenzen und das fehlen eines Scores – sind ausschlaggebend für den hohen Grad an Realismus in der deutsch-französisch-georgischen Ko-Produktion, die den Bürgerkrieg in den Hintergrund, die Geschichte zweier junger Freundinnen dafür in den Vordergrund stellt. Immer wieder erleiden sie emotionale Rückschläge, müssen ihrer Freundschaft neuen Halt geben. Neben den beiden schon erwähnten Szenen sind es vor allem die Momente, in denen interdiegetische Musik eingesetzt wird, wenn die Mädchen singen oder Phil Collins im Radio hören. Auch dann gibt der Film Gefühle preis, bringt Lebendigkeit in den sonst so trostlosen Alltag seiner Protagonisten.

Doch letztendlich sind es vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen, die Die langen hellen Tage so bemerkenswert machen. Ihre Talent ist unübersehbar, obwohl sie hier zum allerersten Mal vor einer Kamera standen. Das zeugt natürlich auch von einer sehr guten Schauspielführung der beiden Regisseure, die hier sicherlich nicht zum letzten Mal zusammen gearbeitet haben.

★★★☆☆


Originaltitel: Grzeli nateli dgeebi

Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Groß
Drehbuch: Nana Ekvtimishvili
Kamera: Oleg Mutu

Darsteller:
Mariam Bokeria ... Natia Zaridze
Lika Babluani ... Eka Khizanishvili
Zurab Gogaladze ... Kote
Data Zakareishvili ... Lado
Ana Nijaradze ... Ekas Mutter
Maiko Ninua ... Ekas Schwester
Tamar Bukhnikashvili ... Natias Mutter
Temiko Chichinadze ... Natias Vater
Berta Khapava ... Natias Großmutter
Sandro Shanshiashvili ... Natias Bruder

GE/D/F 2013, 102Min.
BeMovie
Kinostart: 21.08.2014
FSK 12

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