Filmkritik: John Carter

Es ist vorbestimmt gewesen - was es nicht besser macht. Die Walt Disney Company hat Andrew Stantons Realfilm-Regiedebüt regelrecht selbst geopfert, verstümmelt und dem Tode überlassen: John Carter sollte ein überdimensionaler Blockbuster werden - nun wird er als Beispiel für miserables Marketing und Finanzdebakel in die Filmgeschichte eingehen.

Alles begann damit, dass der ehemalige Disney-Chef Dick Cook seinem Pixar-Schützling Stanton, der schon zwei Oscars für seine animierten Meisterwerke Findet Nemo und Wall-E erhalten hatte, grünes Licht für ein Filmprojekt gab, zu dem ihm noch kein Drehbuch vorlag. Er sicherte Stanton 150 Millionen Dollar zu, aus denen schnell 200 wurden. Dann der Wechsel: Cook verließ Disney und Rich Ross übernahm das Ruder im Maus-Haus. Ein fataler Schicksalsschlag für Stanton und sein Projekt: Ross hielt gar nichts von John Carter und verfolgte nur noch ein Ziel: Schadensbegrenzung oder viel mehr: Selbstverstümmelung.

So wurde im Laufe des letzten Jahres das Projekt unzählige Male weiterentwickelt und verändert: Inhaltlich entschied sich Andrew Stanton zu Änderungen, die viele Nachdrehs benötigten, was beim Animationsfilm, so Stanton, gängig und normal sei. Hier wurde ihm allerdings Fehlkalkulation vorgeworfen. Der erste Trailer zum Film, mysthisch und mythisch, wurde fast gänzlich von Stanton konzipiert, mit der Musik von Peter Gabriel und vielen Szenen des New York im 19. Jahrhunderts. Doch Disney wollte eigentlich einen Popcorn-Kracher und so wurde Stantons Meinung klein getreten und der zweite, finale Trailer mit Actionszenen angehäuft, Effekt-Shots und Pathos. Stanton war machtlos, obwohl er einst freie Hand hatte. Aus John Carter of Mars wurde der nichtssagende Titel John Carter (damit das weibliche Publikum beim Wort Mars nicht abgeschreckt wird) und zu allem Übel setzte man schon unzählige Szenen in den Trailer, die man aus anderen SF-Filmen von Star Wars bis Avatar schon kannte.

Das Ding war nur: Edgar Rice Borroughs Geschichte von Carter, der von einer Höhle in der Wüste auf den Mars gelangt wird und dort eine ihm fremde Welt retten muss, ist exakt 100 Jahre alt. 1912 veröffentlichte der Tarzan-Schöpfer seine erste Mars-Geschichte mit Carter, die zum großen Vorbild von Filmemachern wie George Lucas oder James Cameron wurde. Nur das heutige Publikum weiß das natürlich nicht. So erscheint John Carter wie ein Best-of von allseits bekannten SF-Klassikern, obwohl diese vielmehr bei Carter abgekupfert haben.
Beispiel gefällig? Was lässt sich aus den Jeds (Kaiser einer Stadt) und Jeddaks (Kaiser einer Nation) wohl ableiten? Richtig: Die Jedi aus George Lucas Star Wars-Universum. Es gibt dutzende Beispiele dieser Art (die offensichtlichste mag der Arena-Kampf mit Alienmonstern sein, den es auch in Angriff der Klonkrieger zu sehen gibt - wobei sich die Alienrassen, die ihn ausrichten, auch noch ähneln).

Man kann über das Vermarktungs-Desaster John Carter sagen was man will, der Film spielte aktuell weltweit rund 250 Millionen Dollar ein (soviel wie sein Budget) - und viel mehr wird es nicht werden. Disney-Analysten schrieben, der Film müsse aber 700 Millionen einspielen, damit man Gewinn mache. Andere sagten, der Film wäre ein Verlustgeschäft von 50 Millionen Dollar, wieder andere setzten die Zahl auf 200 Millonen hoch. Fakt ist: Der Film wird kein Erfolgserlebnis für Disney sein - aber er ist auch nicht der von einigen beschriebene größte Flop der Filmgeschichte. Man darf auch das Merchandise und die Homevideo-Sparte Disneys nicht unterschätzen. Nichtsdestotrotz hat die Disney Company ihren teuren Fantasyspaß gehörig in den Mars-Sand gesetzt: Statt dem Film ein episches Marketing zu verleihen und ihn als den originären Fantasystoff zu vermarkten, der er nun mal ist, fährt man die brachiale Popcorn-Männerschiene. Statt Prinzessin Dejah mehr in den Vordergrund zu rücken im Marketing (sie ist ja auch die Namensgeberin des ersten Mars-Buches) und damit zu werben, dass man hier das Vorbild von Filmen wie Star Wars und Avatar zeigen wird, machte man im Marketing so ziemlich alles falsch.

Und der Film? Der ist absolut sehenswertes und unterhaltsames Mainstream-Kino. Und nicht mal banal und lahm. Die Story ist märchenhaft erzählt mit einer tollen Rahmenhandlung im amerikanischen 19. Jahrhundert, magisch und mysthisch von Stanton inszeniert. Taylor Kitsch als titelgebender Held ist cool und ansehnlich und auch die Nebendarsteller sind bis in die kleinste Rolle bestens besetzt. Die Effekte sind großartig, der 3D-Effekt ebenfalls und noch dazu nicht aufdringlich, also genau so, wie es sein sollte. Michael Giacchinos Musik ist wie immer großes Kino und Dan Mindels Bild wuchtig und malerisch.
John Carter ist ein Eventfilm, keine Frage. Aber ein sehr gelungener, der Spaß macht und der Lust auf eine Fortsetzung macht. Andrew Stanton arbeitet schon längst daran - am Ende wird aber das Geld siegen. Und ob Disney unter Rich Ross wirklich noch einmal Millionen Dollar in Carter investieren mag, scheint zweifelhaft. Vielleicht rafft man sich aber auch auf, immerhin würde zweistellige Millionenkosten entfallen, da man die CGI-Sets und Aliens schon hat, die 1.800 handgeschneiderten Kostüme ebenfalls und die Darsteller auch einen Vertrag mit Fortsetzungsoption unterzeichnet haben.

John Carter ist das beste Beispiel für absolut falsch eingeschätztes Marketing, Selbstopferung und Irrsinn eines Großkonzerns. So kann man einen guten Film auch vernichten.

★★★☆☆

 
Originaltitel: John Carter

Regie: Andrew Stanton

Darsteller:
Taylor Kitsch ... John Carter
Lynn Collins ... Dejah Thoris
Samantha Morton ... Sola
Willem Dafoe ... Tars Tarkas
Mark Strong ... Matai Shang
Thomas Haden Church ... Tal Haius
Ciarán Hinds ... Tardos Mors
Dominic West ... Sab Than
James Purefoy ... Kantos Kan

USA 2012, 132 Min.
Disney
Kinostart: 08.03.2012
FSK 12

Trailer:



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