Attack of the Clones: Entwicklung der Darstellung von Klonen im Film bis hin zu Duncan Jones' Moon

Einleitung: Far Side of the Clone
Schon seit der Antike existiert das Motiv des künstlichen Menschen. Nach der Macht Gottes strebend, will der Mensch schon immer den biologischen Schöpfungsakt überwinden und mit eigenen Händen vollziehen. Auch die Literatur kennt dieses Motiv schon seit Jahrhunderten: Ob der Golem aus der jüdischen Mythologie, das Androidenmotiv des Homunkulus, der Automat in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann oder Mary Shelleys Frankenstein, der künstliche Mensch wurde stets als Sklave, Diener oder gar als Frau der Begierde dargestellt, dessen Leben nicht allzu lange währt.[1]
Die Manipulation menschlicher Embryonen oder Föten wurde in der Literatur, zum Beispiel in Aldous Huxleys The Brave New World (1932), früher thematisiert, als im Film – auch wenn es da noch nicht explizit als ‚Klonen‘ (aus dem Griechischen übersetzt bedeutet ‚klon‘ soviel wie ‚Zweig‘) bezeichnet wurde. Fakt ist, dass seit Huxleys Roman der Klon-Horror „Teil des dystopischen Weltbildes des Genres“[2] geworden ist – lange bevor die Wissenschaft diesen Albtraum wahrwerden lies.
Mit revolutionären wissenschaftlichen Ergebnissen in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – 1962 wurde von John Gurdon erstmals ein Tier, ein Frosch, geklont –, kam die Frage auf, ob es Firmen erlaubt sein sollte, mit der genetischen Information der Menschen Profit zu machen – eine Frage, die später in diversen Filmen behandelt wurde und auf die hier an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird. Das Interesse am Klonen stieg in den 90er Jahren noch einmal an, vor allem durch das 1996 geklonte Schaf Dolly und die Fertigstellung des Humangenomprojekts.[3]
Dass keine posthumane Technologie jemals solche Schreckensvisionen hervorgerufen hat, wie das Klonen, lässt sich auf die ständige „Angst vor dem technisch verbesserten Doppelgänger, die Angst vor dem Replikanten“ zurückführen, eine Angst die „auf die innere Zersetzung gerichtet“ zu sein scheint.[4] Klonen dient fast immer als Metapher für die technologische Schöpfung einer unmenschlichen, moralisch verwerflichen posthumanen Welt.[5] Wie die Erschaffung von Robotern, Androiden und Cyborgs, schließt das Klonen an die Mythen des künstlichen Erzeugens menschlichen Lebens an – von Athena, die Zeus gespaltenem Kopf entsprang, bis hin zu Gott, der seinen himmlischen Sohn erzeugte.[6] Heute beschreibt das Wort ‚Klon‘ Menschen, Tiere oder Zellen, deren genetischer Aufbau identisch ist, weswegen eineiige Zwillinge auch als natürliche Klone bezeichnet werden.[7]
Dass die Filmindustrie sich stark an der Gesellschaft, der Politik oder der Wissenschaft orientiert, zeigt sich im Fall des Klonens daran, dass die Gentechnik erst ab den 70er Jahren im Film vertreten war, der künstliche Mensch dagegen seit der Geburtsstunde des Kinos in Filmen thematisiert wurde.[8]
Das Interessanteste an diesen Klon-Filmen ist die Darstellung ebenjener Klone. Waren sie anfangs noch bösartige Killermaschinen oder missglückte Experimente, sind sie heute denkende, fühlende Individuen – manchmal sogar gefühlvoller als ihr menschliches Original. Die folgende Analyse soll einen Einblick über die Motivik und Geschichte des Klons im Film geben und dabei aufzeigen, inwieweit sich die Darstellung der Klone im Laufe der Filmgeschichte geändert und ihren bisherigen Höhepunkt in Duncan Jones‘ Moon (UK 2009) gefunden hat.

Motive und Definition des Klon-Films
Der Klon-Film durchlebte seit den 1970er Jahren einen Wechsel vom düsteren Science Fiction- oder gar Horrorfilm zum teils sehr emotionalen (Science Fiction-)Drama. Betrachtet man die recht überschaubare Liste der Klon-Filme und analysiert diese anhand der vier Punkte, die Giovanni Maio über den Klon im Film aufstellte, wird die jüngste Darstellungsänderung deutlich. Maio schreibt, dass der Klon immer schlechter als das Original dargestellt wird und sein Original am Ende als einzigartiges Wesen dasteht. Weiter schreibt er, dass der ‚mad scientist‘, der verrückte Wissenschaftler, am Ende immer bestraft wird, da er mit seinem blasphemischen Akt der Menschenschöpfung ein Tabu gebrochen hat. Zudem entstehen Klone laut Maio meist in zerfallenen Zivilisationen und erst nach der Vernichtung des Klons könne die friedliche Ordnung wieder hergestellt werden.[9]
Der erste und der letzte Punkt dieser Auflistung treffen mit Blick auf die jüngsten Klon-Filme kaum noch zu, der dritte Punkt kann unter Vorbehalten so stehen gelassen werden, ebenso der ‚mad scientist‘-Punkt.
Zu den Motiven des Klon-Films zählen laut Hans J. Wulff neben dem ‚mad scientist‘ (The Fly, USA/UK/CN 1986) die totalitären Gesellschaften (Gattaca, USA 1997), die Suche nach Identität und Stabilität einer Person (The Boys from Brazil, UK/USA 1978), kriminelle Verwicklungen (The Third Twin, CN 1997), die Artenmischung (Species, USA 1995), Komödienelemente (Multiplicity, USA 1996) und der Liebes-Klon (Creator, USA 1985).[10]
Der Klon-Film muss nicht immer ein reiner Science Fiction-Film sein, er kann auch, wie schon erwähnt, Zugang zur Komödie, dem Melodram (Blueprint, D 2003), dem Thriller / Krimi (The Third Twin) oder dem Horrorfilm (Godsend, USA /CN2004) finden.
Unterschieden werden muss beim Klon-Film in jedem Fall zwischen genmanipulierten Wesen (The Island of Dr. Moreau, USA 1996) und Klonen, bzw. klonierten Wesen (The Island, USA 2005).[11]
Thomas Koebner schreibt bei seinen sechs Motivpunkten der Science Fiction-Filme über den künstlichen Menschen:
[D]ie künstlichen Menschen, die sich deutlich vom Prometheus-Komplex und seiner modernen Variante, dem Frankenstein-Komplex, ableiten lassen: unzweideutige Roboter, die als brave oder aufsässige Knechte den „Herrenmenschen“ dienen, oder Duplikate, Ebenbilder, Humanoide, bei denen man kaum mehr bestimmen kann, worin sie sich von echten Menschen unterscheiden.[12]

Und in der Tat ist der geklonte Hauptprotagonist Sam Bell in Moon für den Zuschauer bis zur überraschenden Wendung zu keinem Zeitpunkt künstlich gewesen. Er ist alles, was einen ‚echten‘ Menschen ausmacht, auch dann noch, wenn man erfahren hat, dass Sam ein Klon ist.

Klone im Film
Das Thema, das vermutlich am häufigsten in Klon-Filmen verwendet wird, ist die Frage nach der Identität und Stabilität einer Person. Der Klon, immer auf der Suche nach seiner eigenen Identität, wurde in der Filmgeschichte meist als ausschließlich böse dargestellt, es gibt nur wenige Filme, in denen der Klon sympathischer dargestellt wird als sein Original, in der keine geringschätzige Haltung dem künstlichen Doppelgänger gegenüber vorherrscht.[13] (Hier sei vor allem Michael Bays The Island genannt).
Generell wurde eine Geschichte, das Leben, nur selten aus der Sicht eines Klons erzählt, weswegen sich Duncan Jones und Michael Bay mit ihren Filmen schon fast auf filmischem Neuland bewegen. Klonen wurde prinzipiell eine eigene Originalität entzogen, sie wurden kalt, gefühl- und emotionslos dargestellt und durch diese Unmenschlichkeit auf eine Stufe mit Robotern und Cyborgs gehievt. Filmklone waren stets einfache Charaktere, die oft einem nicht-menschlichen Programm gehorchten und damit außerhalb der sozialen Kontrolle standen. In politischen Science Fiction-Thrillern wurden Klone zudem gerne als manipulierbare, ferngesteuerte Duplikate eingesetzt. Diese beschränkte Willensfreiheit ist das vielleicht älteste Motiv des Klon-Films.[14]
Das ebenfalls sehr häufig, aktuell in Enemy (CN/ES 2013) und The Double (UK 2013) eingesetzte Doppelgängermotiv bezieht seinen Reiz aus der Verdopplung und Konfrontation mit dem eigenen Ich.[15] Natürlich zählen auch Roboter, Androiden, Cyborgs und Schizophrene zu den Beteiligten des Doppelgängermotivs, doch der Klon aktualisiert das Motiv, da er nicht immer eine unheimliche Bedrohung darstellt.[16]
Hans J. Wulff nennt drei Varianten des Doppelgängermotivs[17]: die Rollenidentität (also den Personenaustausch, meist aus politischen Hintergründen, bei Intrigen oder auch Komödien wie Dave, USA 1993), den Wiedergänger (zum Beispiel die Sehnsucht nach einer verstorbenen, geliebten Person wie in Solaris, UdSSR 1972) und den Alter-Ego-Doppelgänger (die Begegnung mit dem eigenen Ich wie in Back to the Future II, USA 1989). Alle drei Varianten sind auf Klone anwendbar, vor allem der Alter-Ego-Doppelgänger, mit dem sich auch Moon auseinandersetzt. Die Angst, dem eigenen Klon zu begegnen, ist dabei eine bloße Reflexion auf die Angst des Doppelgängers, „die Basis aller Monsterbilder.“[18]
Klon-Filme gibt es konstant seit den 1970er Jahren, in denen es eine ganze Menge an (vor allem billig produzierten) Genrefilmen gab. Auch in den 1990er Jahren wurden noch einmal, vor allem durch die internationale Aufmerksamkeit auf die Wissenschaft (dank des geklonten Schafs Dolly) herbeigeführt, eine Reihe Klon-Filme produziert.
Seit das Thema in den 70er Jahren mediales Interesse weckte, symbolisierte das Klonen die Macht einer neuen, biologischen Technologie.[19]

Darstellung von Klonen in der Filmgeschichte
[Hinweis: Der nachfolgende Text beinhaltet einige Spoiler!]
Einer der ersten Versuche, den Klon im Film darzustellen, fand 1976 mit Ralph Nelsons Embryo (USA 1976) statt. Die hier geklonte Frau, dank Wachstumsmittel schnell herangereift, entwickelt sich zu Serienkillerin, die tötet, um ihren unnatürlich schnellen Wachstumsschub aufzuhalten. In Franklin J. Schaffners The Boys from Brazil werden 94 Jungen aus den Genen Adolf Hitlers geklont, um ein ‚Viertes Reich‘ einzuläuten. Der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele, der nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika geflohen ist, ist hier der ‚mad scientist‘, der am Ende von den Hunden eines der Hitler-Klone getötet wird. Der Junge mit den Führer-Genen grinst am Ende diabolisch in die Kamera und der Zuschauer weiß, dass das Klon-Experiment anscheinend funktioniert hat. Im ein Jahr später erschienen Parts: The Clonus Horror (USA 1979) wurden die Klone als betrogene Wesen dargestellt, die in die Welt gesetzt wurden, um lebenswichtige Organe zu spenden.
1993 wurde mit Steven Spielbergs Jurassic Park (USA 1993) ausgerechnet ein Film mit geklonten Tieren, genauer gesagt Dinosauriern, zum bis dato erfolgreichsten Film aller Zeiten, er war gewissermaßen der erste ‚Klon-Blockbuster‘. Die Wissenschaftler, die hier keinen Gedanken an Ethik oder die Gefahren ihrer Arbeit verschwenden, werden als geldgierige Aasgeier inszeniert[20], auch wenn der alternde Initiator und Multimillionär John Hammond nur Familienunterhaltung schaffen wollte. Am Ende hat der liebenswerte, aber naive alte Mann überlebt – der profitgierige Anwalt allerdings nicht. In Spielbergs Sequel The Lost World: Jurassic Park (USA 1997) finden viele der Dinojäger genauso wie der geldgierige Auftraggeber, der die Dinosaurier zu Vermarktungszwecken ans Festland bringen will, den Tod. Der Vergleich zu den menschlichen Klonen liegt darin, dass die Dinosaurier als fühlende, intelligente Lebewesen dargestellt werden und nicht ausschließlich als bluthungrige Monster. „They’re just protecting their baby,“ wird der Hauptprotagonist in The Lost World belehrt, als er seine Freundin vor einer Stegosaurus-Familie retten will. „So am I,“ antwortet er nervös und muss sich eingestehen, dass auch geklonte Dinosaurier Gefühle zeigen können. Die kleinen, blitzschnellen Velociraptoren werden nicht nur – vor allem in Jurassic Park III (USA 2001) – als Familientiere, sondern auch als die intelligentesten Geschöpfe der Welt bezeichnet – noch vor den Delfinen und Menschen.
In Judge Dredd (USA 1995) wird ein perfekter Mensch aus dem Erbmaterial von besonders ehrlichen, aufrechten und sozial kompetenten Menschen zusammengeklont. Doch es entstand noch ein böser Klon während des Experiments, der seine eigene DNA nutzt, um eine Klonarmee aufzubauen. Im Finale des Films kämpfen die beiden Klon-Brüder symbolträchtig auf der Freiheitsstatue um Leben und Tod, wobei der böse Klon besiegt wird.
Der schon mehrfach verfilmte Roman Die Insel des Dr. Moreau von H. G. Wells (zuletzt 1996) handelt von einem verrückten Wissenschaftler, einem ‚mad scientist‘, der auf einer Pazifikinsel die DNA von Menschen und Tieren kreuzt und dadurch monsterartige Wesen erschafft, die sich schon bald gegen ihren Schöpfer wenden und nicht nur ihn töten.
In der Komödie Multiplicity lässt sich der Hauptprotagonist zweimal klonen, um mehr Zeit für sich, seine Familie und den Job zu haben. Unwissend lässt sich allerdings auch einer der Klone nochmal duplizieren, weswegen ein geistig behinderter Klon dabei entsteht.
In Andrew Niccols Gattaca stammt der Mensch der Zukunft aus dem Reagenzglas. ‚Normal‘ geborene Menschen werden als minderwertig angesehen[21], haben nur geringe Aussichten auf einen (guten) Beruf und sind dem Spott der Retortenmenschen schutzlos ausgeliefert. Wie schon The Boys from Brazil argumentiert Gattaca gegen die genetische Vorbestimmung, dass die Gene den Menschen vollkommen kontrollieren.[22]
Der schon angesprochene Doppelgänger ist nicht nur für den ‚echten‘ Menschen eine Bedrohung, sondern auch für den Klon. In Alien Resurrection (USA 1997) des französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet benötigen die Wissenschaftler acht Versuche, um Ellen Ripley erfolgreich zu klonen.[23] Mit Ripley wurde allerdings auch die Alien-Königin geklont  in ihrem Körper. Ripley, äußerlich menschlich, doch durch die Experimente nun mit Kräften und Sinnen der Aliens ausgestattet, vernichtet nicht nur die Aliens und ein neuartiges Mischwesen, das Ripley für seine Mutter hält, sondern auch ihre sieben misslungenen Klone.
Mit The 6th Day (USA 2000) gerät das Klonen an einen Punkt, in dem die Logik nicht mehr vorhanden sein muss, um ein eigentlich wissenschaftliches Thema in einem Film zu verarbeiten: Protagonist Adam trifft eines Tages auf seinen Klon und muss von da an um sein Leben fürchten. Die Klone haben hier durch Memo-Chips die kompletten Erinnerungen ihres Originals implantiert bekommen und werden dazu genutzt, bei Todesfällen des ‚echten‘ Menschen, ohne Wissen der Öffentlichkeit, dessen Platz einzunehmen. ‚Unwissenschaftlich‘ ist in The 6th Day die Tatsache, dass es Adam seinem gleichaltrigen Klon begegnet – eine Unmöglichkeit, da zu keinem Zeitpunkt erklärt wird, dass man den Klonen Wachstumsbeschleuniger verabreicht hätte – was in The Island beispielsweise nicht versäumt wird zu erwähnen).[24]
Eine ganz andere Art der Klon-Darstellung gab es in George Lucas‘ Star Wars: Episode II – Attack of the Clones (USA 2002): Dort haben die außerirdischen Wissenschaftler, sogenannte Kaminoaner, den genetischen Code der Klone manipuliert um deren Gehirnaktivitäten zu hemmen und ihre Unabhängigkeit, ihren freien Willen, zu verringern. Die Klone, mit einem Wachstumsbeschleuniger versorgt, werden als Kriegsarmee genutzt, sind scheinbar geist- und gefühllose, unvollkommene Imitationen eines ‚echten‘ Menschen.[25]
Im Gegensatz dazu hat der Klon von Captain Picard in Star Trek: Nemesis (USA 2002) sehr wohl Gefühle, freien Willen und vor allem böse Absichten. Bei der Konfrontation von Original und Klon, versucht der Klon zu erklären, warum er Picard töten will: „I’m only an echo... a shadow. My life is meaningless while you are alive.” Am Ende wird er von seinem Original getötet.
Der geklonte Junge im Horrorfilm Godsend besitzt die DNA zweier Kinder. Da einer der Jungen zu Lebzeiten seine eigene Mutter getötet hat, will der Klon dies nun auch mit seiner ‚neuen‘ Mutter tun. Am Ende bleibt mehr oder weniger offen, ob der Klonjunge geheilt ist oder nicht.
Die Geschichte des Klons als Organbank wurde nach Parts: The Clonus Horror 2005 in Michael Bays The Island in etwas variierender Form erneut verfilmt, nur dass dort die Klone alleine für ihr eigenes Original als Organbank dienen. Als literarische Vorlage diente Michael Marshall Smiths Roman Spare von 1996.
Eine weitere Variation des Themas Klone als Organbank gab es 2005 in Kazuo Ishigurus Roman Never let me go, der 2010 auch unter demselben Namen verfilmt wurde und in dem an einer Schule Kinder als Organspender herangezüchtet werden – ein Schicksal, auf das sie ab einem gewissen Alter vorbereitet werden. Den Klonen wird erzählt, dass sie eine dreijährige Schonfrist bekommen würden, wenn sie beweisen könnten, dass sie wahre Liebe empfinden können – um am Ende festzustellen, dass alles nur eine Lüge war. Die Menschen in der Welt von Never let me go (UK/USA 2010) reden sich ein, dass die Klone emotionslos und ohne Seele seien, weswegen eine Tötung zur Organentnahme nichts Schlimmes sei.
Die dunkle Seite des Menschen, die Verkörperung eines brutalen, primitiven Unterbewusstseins, repräsentiert das Selbstporträt des Dorian Gray[26] in Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray, zuletzt unter dem gekürzten Titel Dorian Gray (UK 2009) verfilmt.
  
Darstellung der Klone in Moon 
[Hinweis: Der nachfolgende Text beinhaltet einige Spoiler!]
“It only seems to be about emotions. How real are our emotions, anyway? How real are we?“[27]
Sam Bell ist ein einsamer Mann auf einer Mondstation, alleingelassen mit seiner Arbeit und dem sich mütterlich um ihn sorgenden Roboter GERTY, der offensichtlich an HAL aus Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (USA/UK 1968) erinnert. Nach einem Arbeitsunfall wacht Sam auf der Krankenstation auf, müde, geblendet vom Licht, unsicher auf den Beinen. In dem Moment, in dem er seinem eigenen Ich gegenübersteht, ist klar: Er wurde geklont. Kurz darauf die noch viel schlimmere Wahrheit: Er selbst ist auch nur ein Klon. All seine Erinnerungen und Charaktereigenschaften sind nicht die seinen – sondern stammen von seinem Original, vom ‚echten‘ Sam Bell, der auf der Erde lebt, während die Sam-Klone für eine Energiegewinnungs-Firma auf dem Mond arbeiten. „Mit dieser Art der Erzählstruktur bringt [Regisseur Duncan, Anm. d. Verf.] Jones dem Publikum seine Motive und die Kritik an der Gesellschaft am deutlichsten vor Augen.“[28]
Die eigenen Erinnerungen des geklonten Sams (und aller anderen, weiteren geklonten Sams) setzten immer dann ein, wenn der ‚neue‘ Sam auf der Krankenstation „aufgeweckt“ wird, wie GERTY es formuliert.[29] Implantierte Erinnerungen bekamen auch die Replikanten in Ridley Scotts Blade Runner (USA/UK/HK 1982), damit sie das subjektive Gefühl bekommen, wirklich menschlich zu sein. Und in der Tat ist Sam äußerst menschlich – sogar so menschlich, dass der Zuschauer nicht ahnt, dass es sich um einen Klon handelt. Er ist ‚natürlicher‘ als die Replikanten, er hat Organe und Gehirn eines ‚echten‘ Menschen, der einzige wirklich markante Unterschied ist der, dass der Klon nicht wirklich – vor allem nicht ‚natürlich‘ – geboren wurde.[30] Er wurde geschaffen, um als programmiertes Werkzeug die Arbeit von denen zu übernehmen, die sie nicht verrichten wollen oder können, im Falle von Moon ist der nicht näher beleuchtete Grund vermutlich finanzieller Herkunft. Doch besitzt er wirklich, wie Bertram Holzer schreibt, keine Individualität?[31] Der Sam-Klon benötigt ein eigenes Leben, um aus dem Albtraum zu erwachen: Seine erfolgreiche Reise zur Erde am Filmende, in einer Anspielung auf den Farbsog aus 2001: A Space Odyssey festgehalten, eröffnet ihm in jedem Fall die Möglichkeit, ein eigenes, neues Leben zu beginnen. Ihm, wie auch dem Regisseur Duncan Jones, „ist die Eigenartigkeit des Einzelnen das Kostbarste, was es gegen ein drohendes Nichts zu behaupten gilt.“[32]
Die Szene, die Sams Leben für immer verändert, sehen wir allerdings schon weitaus früher, ziemlich genau in der Mitte des Films: Nachdem er sich mit dem anderen Sam geprügelt hat, sucht er Trost bei GERTY. Im Laufe des Gesprächs erzählt Sam dem Roboter, dass sich seine Frau Tess einmal für sechs Monate von ihm getrennt hatte (was GERTY natürlich schon wusste, da es ja nicht die Erinnerungen des geklonten Sams sind) und schließlich erfährt Sam, dass er wirklich ein Klon ist – genauso wie der andere Sam auf der Mondstation auch. Diese sehr intensive, zentrale Szene (00:46:10-00:49:44) soll nun genauer untersucht werden und die gestellte Ausgangsthese – Sam als fühlende, denkende Person – bestätigen.
Sam (der Sam, der den Unfall hatte und ersetzt werden sollte – exzellent gespielt von Sam Rockwell), kommt die Gangway entlang gelaufen, während der Bildkader dadurch gestört wird, dass GERTY die linke und die beiden vertikalen, roten Eisenstangen einer kleinen Treppe die rechte Bildhälfte bedecken. Die mit schwarzem Tape beklebten Stangen symbolisieren sein Leben, das nicht fehlerfrei war oder ist und dessen vergangene Schäden zumindest teilweise behoben wurden. Sam klettert zwei kleine Treppen hinauf und befindet sich nun vor einem Computer, der dominantes, blaues Licht absondert. Dass an der oberen der beiden Treppen die Worte ‚Mind Step‘ geschrieben stehen, bedeutet nicht nur, dass man die Stufen beachten soll, sondern kündigt auch die kommende Offenbarung, die tragische Wendung in Sams ‚Leben‘ an. Dass hoch oben im Bild in Mitten des blauen Lichts eine digitale Anzeigetafel in großen, roten Buchstaben das Wort ‚Caution‘ anprangert, tut hier sein Übriges. 
GERTY, dessen ‚Gefühlszustand‘ anhand von einem gelben Smiley auf einer blau beleuchteten LCD-Anzeigetafel angezeigt wird (und der mit der sanften Stimme Kevin Spaceys spricht), scheint besorgt zu sein, während Sam, nachdem er etwas auf der obersten Ebene geholt hat und nun auf der mittleren Ebene nervös auf und ab geht, leicht aufgebracht vom Streit zwischen ihm und dem ‚neuen‘ Sam erzählt. Die ganze Zeit über bleibt er dabei hinter der vertikalen, roten Treppe und der horizontalen, weißen Eisenstange ‚gefangen‘. Die Kamera fängt Sam und den melancholisch blau leuchtenden GERTY während dieses Gesprächsteils im klassischen Schuss-Gegenschuss-Verfahren ein und nutzt dazu vornehmlich – und das ist aus Sicht von GERTY, einem Roboter, sicherlich recht ungewöhnlich – over shoulder shots in Auf- und Untersicht, wobei Sam, wie schon erwähnt, höher steht.
Es gibt bis hierhin keine nähere Einstellung Sams als eine Halbtotale, wohingegen man GERTY schon in einer Nahaufnahme zu sehen bekommt. Als Sam anfängt, von Tess zu reden, setzt er sich auf der mittleren Ebene hin, die Beine baumeln am ‚Abgrund‘, während er sich am weißen Geländer festhält und wie ein Fragment seines eigenen – in Wahrheit nicht einmal realen – Lebens wirkt. Ein kurzer Schnipser gegen das rote Treppengeländer könnte die verbliebene, sehnsüchtige Liebe zu Tess symbolisieren, ebenso allerdings auch den bevorstehenden Tod ankündigen. Die Kamera springt nun erstmals in eine Großaufnahme von Sams blutverschmiertem Gesicht, auch fokussiert sie den sehr dunklen Pullover, den Sam trägt – beides ein Hinweis auf das drohende Unheil. Das Gespräch nimmt einen kurzen
Richtungswechsel an, als GERTY Sam motivierend versichert, dass er sich positiv verbessert habe. In diesem Moment springt die Kamera auch wieder ein wenig weg von Sam und zeigt ihn nun in einer Nahen. Auf Sams Nachfrage hin, was mit den Videonachrichten geschehen ist, die er Tess geschickt hatte, antwortet GERTY leicht verlegen, dass er nur davon berichten kann, was auf der Station geschieht. Verzweifelt lächelnd fragt Sam noch nach den Nachrichten, die Tess ihm geschickt hätte und GERTY erwidert, nun lächelnd, dasselbe.
Sam steht auf, klettert die untere Treppe runter und klammert sich mit dem rechten Arm am roten Treppengeländer fest, er ist jetzt ganz unten angekommen, auf einer Höhe mit GERTY – dann fragt er: „Am I really a clone?“
In der bis dahin musiklosen Sequenz setzt nun erstmals, wenn auch zunächst unscheinbar und leise, Musik ein. Das nun folgende Geständnis GERTYs, Sam sei nur ein Klon mit implantierten Erinnerungen des ‚echten‘ Sam Bell, wird vor allem mit Nah- und Großaufnahmen, nach wie vor im Schuss-Gegenschuss-Verfahren, aufgelöst. Die tiefliegende Lichtquelle lässt Sam vor allem in der Großaufnahme im Moment seiner Demaskierung sehr unmenschlich erscheinen, er wirkt kreidebleich, leblos, vampirhaft. Wie Sam Bell fassungslos und schockiert von der Wahrheit in Großaufnahme zu sehen ist, blutverschmiert, blass und mit dem Arm am Geländer eine Stütze suchend, wirkt er darüber hinaus genau wie Luke Skywalker in Star Wars: Episode V – The Empire strikes back (USA 1980) in jener Szene, in der der junge Jedi-Anwärter von Darth Vader erfährt, dass dieser sein Vater ist. 

Dass GERTY durchaus einfühlsam ist, ‚beweist‘ er mit einem weinenden Smiley. Sam wendet sich derweil ab und lehnt sichtlich mitgenommen den Kopf an die Wand, die seine aussichtslose Situation deutlich macht. Dass GERTY zusätzlich seinen Roboterarm tröstend auf Sams Schulter legt, hindert Sam außerdem daran, den Raum durch den blau erleuchteten freien Gang im Hintergrund zu verlassen.
Während die Musik präsenter und dramatischer wird, verlässt Sam schließlich niedergeschlagen den Raum und kehrt dahin zurück, wo er hergekommen ist: In sein Leben als Klon – nun mit der bitteren Gewissheit, die Wahrheit zu kennen.
Dass Sam Bell sehr emotional und menschlich ist, kann man noch an weiteren Szenen des Films ausmachen: Als er zum Beispiel in seinem ersten realen Live-Videotelefonat von seiner 15-jährigen Tochter erfährt, dass Tess tot ist, wird Sam sein Schicksal erneut vor Augen geführt. „I want to go home,“ schluchzt er und fängt bitterlich an zu weinen.
“How real are our emotions, anyway?” Sams Emotionen sind eindeutig real.

Conclusio: Clone to the Future
In der gar nicht allzu langen Reihe an Klon-Filmen – es gibt vielleicht rund 50 Stück, von denen gerade mal ein Dutzend wirklich einer breiteren Menschenmenge bekannt sein dürften – legen Filme wie The Island, The 6th Day, Code 46, Blueprint und eben Moon ihren Fokus auf das Individuum und Klonen als Lösung individueller Probleme, Wahlmöglichkeiten oder Sehnsüchte. Damit unterscheiden sie sich deutlich von älteren Filmen und Romanen, in denen Klone in Massen hergestellt und sogar als von NAZI-Wissenschaftlern kreierte, dämonische Monster dargestellt wurden wie in The Boys from Brazil.[33] Dass diese Art der Darstellung auch noch existiert, beispielsweise werden Klone in The 6th Day durchaus noch in Massen angefertigt, ist nicht von der Hand zu weisen, doch das Denkmuster der Filmemacher hat sich hier mit der Wissenschaft gemeinsam weiterentwickelt: Klone sind keine psychopathischen Mörder, keine Bestien und keine gefühllosen Maschinen. Sie sind organische Wesen, mit Seele und Herz – nur ohne eigene Erinnerungen, ohne eigenen Körper. Und das spiegelt sich auch in den Filmen wieder, die, je später sie produziert wurden, immer unklarer werden in ihrer Aussage, ob Klone nun böse oder gut sind – oder ob sie auch beides sein können.
Freundschaft, Charakter, Ethik. Drei Dinge, die in Moon mehr als eindeutig behandelt werden. Sam Bell besitzt die Fähigkeit, eine Freundschaft aufzubauen – zu GERTY, wie auch zum anderen Sam. Er hat einen willensstarken Charakter, Mut und Ehrgeiz, will alles dafür tun, damit die düstere Wahrheit auf der Erde bekannt gemacht wird und stirbt sogar einsam und verlassen, damit kein anderer Klon an seiner Stelle getötet werden muss. Letztendlich bleibt die Ethik: Duncan Jones zwingt den Zuschauer regelrecht, sich über die ethischen Ungeheuerlichkeiten bewusst zu werden: Sam mag ein Klon sein, aber wie er selber sagt: „We’re not programmed. We’re people.“
Moon zeigt den Klon als vollkommen harmlosen, ‚normalen‘ Menschen, der dieselben Bedürfnisse hat wie ein ‚echter‘ Mensch (immerhin hat Sam Bells Klon in Moon auch Erinnerungen an eine Liebesnacht mit Tess, der Frau des ‚echten‘ Sam) und der genauso fühlt, denkt und lebt. Gewissermaßen ist der Klon hier der perfekte Mensch – und Duncan Jones‘ Moon ein wichtiger Wegweiser für den noch recht jungen Klon-Film.

Weiterführende Links:
Filmkritik zu Moon vom 26. Juni 2010




[1] vgl. Bay, Wolfgang (2006): Die Unität des natürlich-künstlichen Menschen. Norderstedt: GRIN Verlag. S. 3.
[2] Seeßlen, Georg / Jung, Fernand (2003): Science Fiction. Grundlagen des populären Films. Band 2. Marburg: Schüren Verlag. S. 505.
[3] vgl. Dinello, Daniel (2005): Technophobia! Science Fiction Visions of Posthuman Technology. Austin: University of Texas Press. S. 14f.
[4] Seeßlen / Jung (2003), S. 505.
[5] vgl. Dinello (2005), S. 212.
[6] vgl. ebd., S. 218.
[7] vgl. Giesen, Rolf (2000): Artificial Humans. A Glossary, in: Aurich, Rolf (Hrsg.) / Jacobsen, Wolfgang / Jatho, Gabriele: Artificial Humans. Manic Machines Controlled Bodies. Berlin: Jovis Verlagsbüro. S. 121.
[8] vgl. Wulff, Hans. J. (2001): Klone im Kinofilm – Geschichten und Motive der Menschenverdopplung. http://www.derwulff.de/2-97 (Stand: 11. März 2011) S. 1.
[9] vgl. Maio, Giovanni, in: Wulff (2001), S. 1f.
[10] vgl. Wulff (2001), S. 3-10.
[11] vgl. ebd., S. 2.
[12] Koebner, Thomas (2007): Vorbemerkung, in: Filmgenres. Science Fiction. Stuttgart: Reclam. S. 9.
[13] vgl. Wulff, Hans J. (2005): Die entmachtete Sexualität: Politik, Klonieren und Replikation im neueren Kino, in: Rüffert, Christine (Hrsg.): Unheimlich anders: Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino. Berlin: Bertz + Fischer. S. 143.
[14] vgl. ebd., S. 150.
[15] vgl. Herget, Sven (2009): Spiegelbilder. Das Doppelgängermotiv im Film. Marburg: Schüren Verlag. S. 17.
[16] vgl. Wulff (2005), S. 141.
[17] vgl. ebd., S. 141f.
[18] Skal, David J. (1993): The Monster Show. A Cultural History of Horror. New York / London: W. W. Norton & Company. S. 76.
[19] vgl. Dinello (2005), S. 213.
[20] vgl. Dinello (2005), S. 15.
[21] vgl. Seeßlen, Georg (2000): Dream Replicants of the Cinema. Passage through Old and New Moving Images, in: Aurich, Rolf (Hrsg.) / Jacobsen, Wolfgang / Jatho, Gabriele: Artificial Humans. Manic Machines Controlled Bodies. Berlin: Jovis Verlagsbüro. S. 31.
[22] vgl. Dinello (2005), S. 214.
[23] Beim geklonten Schaf Dolly waren es tatsächlich 277 Versuche. Vgl. Dinello (2005), S. 216.
[24] vgl. Perkowitz, Sidney (2007): Hollywood Science. Movies, Science, & the End of the World. New York: Columbia University Press. S. 132.
[25] vgl. Dinello (2005), S. 211.
[26] vgl. ebd., S. 216.
[27] Ebert, Roger (2009): Moon, in: Chicago Sun Times. http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/20090617/REVIEWS/906179987 (Stand: 11. März 2011)
[28] Haslebner, Michael (2009): Die Erinnerung und die Menschlichkeit. http://passagen.univie.ac.at/fseviennale/sites/passagen.univie.ac.at.fseviennale/files/V09_e_Haslebner.pdf (Stand: 11. März 2011). S. 2.
[29] Passend dazu trägt Sam ein T-Shirt (das, wie man im Film sieht, zur Standardausrüstung eines jeden neuen Klons gehört) mit der Aufschrift „Wake me when it’s quitting time“ – höchst ironisch, wenn man dies auf das Erwecken des neuen Klons bezieht, sobald der alte ‚weg‘ ist.
[30] vgl. Haslebner (2009), S. 6f.
[31] vgl. Holzer, Bertram (2009): Eine Geschichte über die Menschwerdung. http://passagen.univie.ac.at/fseviennale/sites/passagen.univie.ac.at.fseviennale/files/Vo9_e_Holzer.pdf (Stand: 11. März 2011). S. 6.
[32] Kleingers, David (2010, 16. Juli): Space Odyssey ins Ich. http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,706862,00.html (Stand: 11. März 2011)
[33] vgl. Haran, Joan (Hrsg.) / Kitzinger, Jenny / McNeil, Maureen / O’Riordan, Kate (2008): Human Cloning in the Media. From science fiction to science practice. New York: Routledge. S. 58.

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