Filmkritik: Der große Gatsby

Wo Baz Luhrmann drauf steht, ist auch Baz Luhrmann drin. Das merkt man jeder Minute von The Great Gatsby an - auch wenn es erst der fünfte Spielfilm des 50jährigen Australiers ist. Als er 1992 mit Strictly Ballroom sein Debüt gab, kam schon Luhrmanns Faszination für Musik, Tanz und schrille, bunte Bilder zum Vorschein. Als er dann vier Jahre später mit seiner modernisierten Version von Romeo + Julia den jungen Leonardo DiCaprio zum Mädchenschwarm machte - und das schon *vor* Titanic, der erst ein Jahr später erschien - war der Name Luhrmann schon ein Synonym für bildgewaltige Extravaganzen mit einem Hang zu moderner Musik in historischen Stoffen geworden. Moulin Rouge! war 2001 dann der Gipfel seines Schaffens. Von der Kritik gefeiert und bei acht Nominierungen zweimal mit einen Oscar prämiert zeigte der Film Luhrmanns ganzes Talent. Danach dauerte es sieben Jahre, bis mit dem Epos Australia sein vierter Film in die Kinos kam - und wieder gab es gigantische Bilder, bunte Farben und wuchtigen Sound. Und auch mit seinem aktuellen Film bricht er keinesfalls seine Gewohnheiten - im Gegenteil: er bekräftigt sie viel mehr noch.

Der große Gatsby beginnt ein wenig wie Moulin Rouge! - und das ist durchaus positiv gemeint. Die zweidimensionalen, farblosen Muster werden nach kurzer Zeit dreidimensional (und wie!), die Logos erscheinen und das Bild gewinnt kräftig an Farbe. Wie damals Ewan McGregor fungiert diesmal Tobey Maguire als Erzähler Nick Carraway. Als recht mittelloser Börsenmarkler bezieht er in New York ein kleines Häuschen, das direkt neben einer gigantischen Villa steht, in der ein mysteriöser Mann namens Gatsby leben soll - auch wenn ihn noch nie jemand gesehen zu haben scheint. Auf der anderen Seite der Bucht lebt Carraways Cousine Daisy (Carey Mulligan), die mit dem schroffen Polospieler Tom (Joel Edgerton) verheiratet ist. Während man in der ersten halben Stunde vergeblich auf Gatsbys (DiCaprio) ersten Auftritt wartet, bekommt man zunächst einmal das unbeschwerte Leben der 20er und 30er Jahre zu sehen: Tom nimmt Nick mit auf eine ausufernde Feierrunde, auf der auch klar wird, dass Tom seine Frau ständig zu betrügen scheint. Außerdem bekommt man die ersten gigantischen Partys in Gatsbys Villa zu sehen - und die haben es in sich: tausende Gäste, Alkohol in Massen, tanzende Horden, ein schräger Pianist (angeblich der Enkel Beethovens), tonnenweise Konfetti, Feuerwerk und vor allem wilde Musik. Wild vor allem deswegen, weil sie von Jay-Z, Beyoncé, Will.i.am, Jack White oder Lana Del Rey stammt. Diese Mischung passt - überrascht es wen bei einem Baz Luhrman-Film noch? - interessanterweise sehr gut.

Als dann endlich Gatsby auftaucht ist das Mysterium, das seine Figur umhüllt, leider etwas zu schnell gelüftet: Dass er nicht der reich geborene Milliardärssohn ist, dürfte dem Zuschauer früh klar sein - und dass er all die Partys nur veranstaltet, um Daisy wiederzusehen (sie hatten vor fünf Jahren eine Beziehung miteinander und sie dachte seit dem, er sei nicht mehr aus dem Krieg in Europa zurückgekehrt), ist auch schnell kein Geheimnis mehr. Umso verwirrender, dass in den Trailern noch der Satz "I've just heard the most shocking thing! It all makes sense!" als großes Mysterium angepriesen wurde - die Wahrheit dann aber weder schockierend noch überraschend war. Das ist das größte Manko des Films, denn von nun an gibt es eigentlich keine Alternative mehr für den weiteren Verlauf des Films, weswegen auch schon eine Stunde vor dem Abspann offensichtlich erscheint, wie der Film enden muss. Das war zwar bei Moulin Rouge! beispielsweise auch der Fall, nur war dort der Weg dahin ein äußerst wendungsreicher - bei Der große Gatsby steuern die Figuren viel mehr direkt in ihr Unglück hinein, weswegen der Film inhaltlich leider etwas zu glatt gebügelt bleibt. Ob man das nun der Vorlage von F. Scott Fitzgerald in die Schuhe schieben darf, sollte jeder (der Buch und Film kennt) für sich entscheiden.

Schauspielerisch trumpfen die Darsteller zudem auch nicht ganz zu ihren jeweiligen Bestformen auf: Leonardo DiCaprio kommt nur in den Szenen, in denen er entweder einen Wutanfall hat oder verlegen, jungenhaft versucht, das Wiedersehen mit Daisy zu organisieren und dafür Nicks Haus und Garten umdekorieren lässt, an seine Glanzleistungen in J. Edgar, Aviator oder Shutter Island heran. Tobey Maguire war noch nie ein besonderer Charaktermime (wobei er in Gottes Werk und Teufels Beitrag durchaus sehr gut gespielt hat) und darf hier wenigstens gegen Ende des Films einmal richtig aus seiner Haut herausfahren. Carey Mulligan spielt gut, aber irgendwie auch ein wenig zu monoton. Es sind die Nebenrollen, Joel Edgerton, Jason Clarke, Isla Fisher oder Newcomerin Elizabeth Debicki, die durchgängig (in ihren kleineren Rollen) überzeugen können. Zu DiCaprios Entschuldigung muss man allerdings dazusagen, dass die Rolle des Jay Gatsby zu fast keinem Zeitpunkt soviel hergibt wie die Rollen zu den oben genannten Filmen. Gatsby tritt erst nach 30 Minuten auf, bleibt dann im Hintergrund, ist mysteriös und ruhig, dann wird er nervös und zuletzt bricht er endlich aus sich heraus - die letzten 45 Minuten gehören dann sicherlich ganz DiCaprio.

Optisch ist der Film ein erneutes Luhrmann-Wunder: Knallbunt, in einem tollen (hellen! und damit sehr seltenen), wenn auch nachträglich konvertierten 3D, schön gefilmt und vor allem prächtig ausgestattet: Die Kostüme, die Requisiten, die Sets - das schreit förmlich nach Oscarnominierung 5 und 6 für Catherine Martin, Luhrmanns Frau. Und auch die Musik ist trotz einiger Hip Hop-Nummern im Jazz-Zeitalter interessanterweise durchaus passend, Stücke wie "Young and Beautiful" von Lana Del Rey und "Love is Blindness" von Jack White sind nicht nur toll platziert, sondern auch großartige Songs.

Alles in allem ist Der große Gatsby ein Fest für Augen und Ohren, das allerdings inhaltlich leider etwas unbefriedigend zurückbleibt und Leonardo DiCaprio nicht die Möglichkeit gibt, eine weitere Weltklasseleistung abzuliefern. Aber wer weiß - am Ende bekommt er ausgerechnet hierfür dann seinen langersehnten Oscar. Und den hat er sich dann auch mal verdient. Auch als kleines Geschenk für Baz Luhrmann - den eindeutig farbenfrohsten Regisseur dieser Tage und einer der wenigen Filmemacher, die bei mir einen Freifahrtschein haben: Er könnte einen Film über einen magersüchtigen Koala drehen: solange die Bilder bunt sind, die Musik kein bisschen dazu zu passen scheint und der Koala schrille Kleidung trägt bin ich ohne wenn und aber dabei.


★★★☆☆


Originaltitel: The Great Gatsby

Regie: Baz Luhrmann
Drehbuch: Baz Luhrmann & Craig Pearce
basierend auf dem Buch von F. Scott Fitzgerald
Kamera: Simon Duggan

Darsteller:
Leonardo DiCaprio ... Jay Gatsby
Tobey Maguire ... Nick Carraway
Carey Mulligan ... Daisy Buchanan
Joel Edgerton ... Tom Buchanan
Isla Fisher ... Myrtle Wilson
Jack Thompson ... Dr. Walter Perkins
Elizabeth Debicki ... Jordan Baker
Jason Clarke ... George Wilson
Amitabh Bachchan ... Meyer Wolfsheim

AUS/USA 2013, 142 Min.
Warner Bros.
Kinostart: 16.05.2013
FSK 12


Trailer:



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