Filmkritik: 12 Years a Slave

Amerikas größte Schuld- und Sühne-Geschichte ist vermutlich die der Sklaverei. Schon immer hat sich das amerikanische Kino mit dem Unrecht, das die Weißen der schwarzen Bevölkerung angetan haben, beschäftigt. Vom Winde verweht ist da ein filmgeschichtlich frühes Beispiel. Vor allem seit den 90er Jahren aber finden vermehrt Stoffe den Weg ins Kino, die sich expliziter mit dieser Gewalt und Unmenschlichkeit beschäftigen: Ob Steven Spielbergs Amistad und Lincoln oder Michael Apteds Amazing Grace, sie zeigen oftmals den Kampf eines weißen Einzelgängers, der sich für die Sklaven einsetzt. Steve McQueens 12 Years a Slave nun erzählt (wie zuvor auf etwas andere Art Quentin Tarantinos Django Unchained) die Geschichte aus der Sicht eines Sklaven selbst: Solomon Northup, gespielt vom charismatischen Briten Chiwetel Ejiofor (Children of Men, Serenity), war in seiner Heimatstadt New York ein freier Mann, ein begnadeter Violinist, der hinterrücks verraten und verschleppt wird, um sich auf einem Sklavenschiff gen Lousiana wiederzufinden - getrennt von Frau und Kindern. Die wahre Geschichte um den Kampf eines Mannes, der es erst nach 12 Jahren schafft, wieder ein freier Mann zu sein, ist eindrucksvoll gespielt - und dennoch bisweilen überraschend emotionslos und erschreckend langatmig.


Nach rund 20 vielversprechenden Minuten landet Northup in den Händen des für einen Sklavenhalter überraschend mitfühlenden Ford (Benedict Cumberbatch), der ihn vor dem aggressiven, alle Schwarzen hassenden Aufseher (Paul Dano) vermeintlich rettet, in dem er Northup weiterverkauft. Zu seinem Pech jedoch ist der einzige, der den aufmüpfigen Sklaven haben möchte, der kompromisslose und kein bisschen weniger aggressive Epps (Michael Fassbender), der die Sklaven schickaniert, sich zur Verärgerung seiner Frau (Sarah Paulson) an der jungen Sklavin Patsey (Lupita Nyong'o) vergeht und Northup das Leben erst Recht zur Hölle macht. Keine Frage, Ejiofor spielt großartig - aber erschreckenderweise fühlt man nur in wenigen Momenten wirklich mit ihm und seiner scheinbar aussichtslosen Situation mit. In einer Szene, in der eine Sklavin auch noch nach einigen Tagen ihren Kindern, von denen sie getrennt wurde, hinterherweint, schreit Northup sie an, sie solle aufhören. Auf die Frage, ob er nicht an Frau und Kinder denkt, antwortet er ein recht pathetisches "ich nicht überleben, ich will leben". Frau und Kinder (und ihr Schicksal) bleiben dagegen völlig offen - und sie werden auch bis zum Ende nicht mehr thematisiert. Northup pflückt Baumwolle, wird ausgepeitscht, weil er nicht ergiebig genug gearbeitet hat, gerät in die Konfrontation mit Epps. Der wiederum wird ebenso großartig von Michael Fassbender gespielt und, bedenklich genug, ist bisweilen gar emotionaler als Ejiofors Solomon Northup. 

In seinen 135 Minuten scheint dagegen seltsamerweise erstaunlich wenig zu geschehen. Episodenhaft folgt die Geschichte Northup von der Freiheit im Norden der USA zu Sklavenhändler Freeman (Paul Giamatti), zur Plantage von Cumberbatchs Master Ford und weiter zu der von Fassbenders Charakter. Dazwischen gibt es lange Dialoge zwischen Northup und dem durchreisenden Bass (Brad Pitt) über die Missstände des Landes und immer wieder steht Chiwetel Ejiofor einfach nur da, bewegungslos, und sieht gedankenversunken minutenlang ins Nichts. Keine Musik. Kein gar nichts. Das mag beim ersten Mal noch wirken, spätestens bei der dritten oder vierten dieser Einstellungen wirkt es nur noch wie ein Fremdkörper. Auch Hans Zimmers Musik ist bisweilen ungewöhnlich. Es gibt sehr schöne Themen und glücklicherweise ersäuft sein Score nicht in Pathos (was bei Zimmers Kompositionen durchaus nicht selten der Fall ist), jedoch gibt es auch recht unpassende Musikuntermalungen, die entweder schlicht zu modern wirken oder - auch ein Zimmer-Phänomen - irgendwie zu stark an seine Scores aus Inception oder Pearl Harbor erinnern.

So ist es nun doch schon ein wenig überraschend und ernüchternd anzusehen, was hier als große Oscar-Hoffnung angepriesen und von Kritikern auf der ganzen Welt in höchsten Tönen gelobt wird: Ja, Ejiofor und Fassbender sind großartig (wenn auch Leonardo DiCaprio in The Wolf of Wall Street beispielsweise noch ein ganzes Stück beeindruckender war als Ejiofor), auch die kenianische Neuentdeckung Lupita Nyong'o wie auch Cumberbatch und Dano sind mehr als gut. Dagegen ist das (Oscar-nominierte) Drehbuch von John Ridley phasenweise sehr zäh und auch Steve McQueens Regieanweisungen scheinen sich ständig zu wiederholen. So bleiben wirkliche Charakterentwicklungen entweder aus oder - auf Grund der Episodenhaftigkeit und der daraus resultierenden oft sehr geringen Leinwandzeit für die großartige Nebendarsteller - sind schlichtweg nicht möglich. Und da auch die Bilder und der Schnitt nicht außergewöhnlich sind, bleibt letztenendes doch nur - und das ist wirklich Schade - ein guter Film zurück, der von seinen Schauspielern lebt, dessen Inszenierung allerdings streckenweise uninspiriert und einfallslos erscheint. Hier wäre ausnahmsweise wohl mal "mehr ist mehr" anstatt "weniger ist mehr" angebracht gewesen - mehr emotionale Bindung zu den Figuren, mehr Tempo, mehr Backstory, mehr Abwechslung. Wahre Geschichte hin oder her - ihre filmische Umsetzung ist leider nicht so meisterlich, wie man es erwarten durfte.

★★★☆☆


Originaltitel: 12 Years a Slave

Drehbuch:
basierend auf dem Buch von 
Kamera: Sean Bobbitt
Musik: Hans Zimmer  

Darsteller:
... Solomon Northup
... Edwin Epps
... Ford
... Tibeats
... Patsey
... Mistress Epps
... Bass
... Freeman
... Brown
... Margaret Northup

USA/UK 2013, 134 Min.
Tobis
Kinostart: 16.01.2014
FSK 16

Trailer:

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