Filmkritik: The Wolf of Wall Street

Sex, Drugs und for a Fistful of Dollars. Martin Scorseses 23. Spielfilm The Wolf of Wall Street ist ein dreistündiges, durchgängig von nackter Haut, Sexorgien, Drogen und annähernd 600 Variationen von Schimpfwörtern bevölkertes Epos, das schon direkt mit Beginn des Abspanns eine ganze Reihe von Eindrücken hinterlässt: Zum einen wird klar, dass trotz der immensen Länge (180 Minuten für ein Wall Street-Drama sind auf den ersten Block schon ein Batzen) keine Langeweile aufkommt. Scorsese schafft es, hier über die gesamte Filmdauer hinweg so viel in seinen Film zu packen, dass es gar nicht uninteressant werden kann. Und zum anderen, dass Leonardo DiCaprio - und ich war mir nicht sicher, ob diese Steigerung noch möglich war - sich hier Leib und Seele aus dem Körper spielt und (auch wenn ich die Darstellungen seiner Konkurrenten noch nicht kenne) mit der besten Leistung seiner sowieso schon beeindruckenden Karriere im Grunde direkt den Oscar bekommen müsste.

DiCaprio spielt Jordan Belfort. Und dass Belfort eine reale Person ist und das hervorragende Drehbuch von Terence Winter (Boardwalk Empire, Die Sopranos) auf dessen Biografie basiert, macht die Sache noch um ein Vielfaches interessanter. DiCaprios Belfort ist arrogant, gierig, besessen von Drogen und Frauen und will einfach nicht aufgeben. Das macht ihn einerseits vielleicht durchaus etwas bewundernswert, aber im Grunde ist Belfort einfach nur ein Antiheld am Rande des menschlichen Abgrunds. DiCaprio macht daraus ein zügelloses, überdrehtes und dennoch gut nuanciertes Meisterwerk an Schauspielkunst, gibt sich (bildlich wie psychisch) die komplette Blöße, flucht am laufenden Band und schafft es über 180 Minuten hinweg, nichts von seiner Faszination abzutreten. Ein bisschen Gatsby ist da durchaus mit drin - doch Scorsese treibt seinen Star hier noch extremer an und holt aus ihm die absolute Höchstklasse heraus. 

Dagegen haben dann natürlich alle anderen Darsteller das Nachsehen - aber das ist absolut in Ordnung so. Jonah Hill (ebenfalls Oscar-nominiert) gibt zweifelsohne auch die beste Leistung seiner Karriere ab, in dem er Belforts besten Freund und Geschäftspartner Donnie als abgehobenen, übermütigen, ebenfalls Drogen- und Sex-süchtigen Broker mimt, hat aber im Gegensatz zu DiCaprio natürlich weitaus weniger zu tun und, seien wir ehrlich, macht sich hier im Grunde (wenn auch auf sehr hohem Niveau) doch wie gewohnt zum Affen. Matthew McConaughey scheint derzeit die Neuentdeckung Hollywoods zu sein: Oscar-nominiert für Dallas Buyers Club (und damit der vielleicht größte Konkurrent DiCaprios) und ebenfalls großartig in Mud aufgelegt, hat er hier nur am Filmanfang einen kurzen Auftritt, doch auch der hat es durchaus in sich und bietet eines der vielen Highlights des Films. Die Regisseure Rob Reiner (Eine Frage der Ehre) und Spike Jonze (Her - ebenfalls im Oscarrennen) haben hier zwei bemerkenswerte Auftritte, vor allem Reiner ist als Belforts Vater Max ein Glücksgriff. Jean Dujardin spielt einen schleimigen Schweizer und macht das erfrischend und unterhaltsam, während die gerade einmal 23-jährige Australierin Margot Robbie hier ihre erste große Kinorolle spielt - und das durchaus überzeugend.

Auch formal gesehen ist Scorseses Werk ein mehr als gelungen: Mit Belfort als Erzähler seiner eigenen Geschichte liefert Drehbuchautor Winter hier einen höchst unzuverlässigen Erzähler, dessen Ausführungen bisweilen an die unglaubwürdigen Erfolgsgeschichten eines Forrest Gump erinnern: Mit seiner Luxusyacht gerät er (das scheint zumindest wahr zu sein) in ein Unwetter vor Sardinien. Nachdem eine Hochhaus-hohe Welle das Schiff zerreißt, werden die Passagiere von der italienischen Küstenwache gerettet, während im Hintergrund ein Kleinflugzeug, dem eine Möwe ins Triebwerk geflogen ist, explodiert. Eindeutige Lügen gibt es dann sogar auch noch: Im Drogenrausch fährt Belfort mit seinem weißen Ferrari vom Golf-Clubhaus zu seiner Villa: Wir sehen die geglückte Fahrt und hören den Kommentar dazu, dass er "glücklicherweise ohne bleibende Schäden an sich oder dem Auto" angekommen sei. Am nächsten Tag jedoch klingelt die Polizei und zeigt ihm das vollkommen zerstörte Auto - woraufhin uns Scorsese die Drogenfahrt noch einmal zeigt - diesmal in der "echten" Version. Ein anderes Mal fährt die Kamera durch das Büro von Stratton Oakmont, Belforts Firma, und auf einmal erfasst sie DiCaprios Belfort, der daraufhin die vierte Wand durchbricht und direkt in die Kamera zum Zuschauer spricht. Am Ende hat der echte Belfort sogar einen Gastauftritt, was letztendlich seinem Größenwahn doch wieder ein wenig Nahrung gibt: Trotz allem, der Scheidung von seiner (zweiten) Frau, dem Verlust seines Vermögens und dem Aufenthalt im Gefängnis... hat er scheinbar nichts von seiner Motivation verloren.

The Wolf of Wall Street ist wirklich sehr gelungen in Form und Darstellung. Ein toller Cast, allen voran der unglaubliche Leonardo DiCaprio, eine unterhaltsame und vor allem auch abwechslungsreiche Geschichte (nach den 180 Minuten ist man zunächst einmal geradezu erschlagen von all den Eindrücken und Bildern und Ereignissen, denen man zuvor beigewohnt hat), ein für Martin Scorsese höchst ungewöhnlich hoher Comedyanteil (vermutlich ist das sein lustigster Film überhaupt), tolle Musikauswahl und ein routinierter Schnitt von der alteingesessenen Thelma Schoonmaker.

★★★★☆


Originaltitel: The Wolf of Wall Street

Drehbuch:
basierend auf dem Buch von
Kamera: Rodrigo Prieto

Darsteller:
... Jordan Belfort
... Donnie Azoff
... Naomi Lapaglia
... Mark Hanna
... Agent Patrick Denham
... Max Belfort
... Brad
... Manny Riskin
... Jean Jacques Saurel
... Dwayne

USA 2013, 180 Min.
Universal / Paramount
Kinostart: 16.01..2014
FSK 16

Trailer:

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