Filmkritik: X-Men - Zukunft ist Vergangenheit

Gemäß des Mottos "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" haben schon viele Figuren in der Filmgeschichte versucht, mittels einer Zeitreise ein Ereignis zu verhindern und so ein besseres Leben für sich, die Menschheit oder wen auch immer zu gestalten. Diese, zugegebenermaßen nicht ganz neue Idee der Zeitreise ist die grobe Ausgangssituation in Bryan Singers drittem Film innerhalb des X-Men-Universums, X-Men: Zukunft ist Vergangenheit. Die Handlung setzt in einer unbestimmten Zukunft ein, in der die Welt durch einen gewaltigen Krieg zerstört wurde, Mutanten und Menschen, die ihnen zur Seite standen, sind nahezu ausgerottet. Dies gelang dank des Einsatzes der sogenannten Sentinels, Mutanten jagenden Robotern geschaffen durch den Wissenschaftler Bolivar Trask (Peter Dinklage aus Game of Thrones) in den 1970er Jahren. Um ihrem tödlichen Schicksal zu entgehen, schicken die verbliebenen X-Men unter der Obhut von Charles Xavier (Sir Patrick Stewart) und Magneto (Sir Ian McKellen) Logan alias Wolverine (Hugh Jackman) via Bewusstseins-Zeitreise in seinen jüngeren Körper im Jahr 1973 zurück, um dort zu verhindern, dass Mystique (Jennifer Lawrence) Trask ermordet und so überhaupt erst den Anstoß zur Inbetriebnahme der Sentinels gibt.

Doch im Jahr 1973 ist die Welt zwar noch bunt und schrill, Charles (James McAvoy) jedoch ein trinkendes Wrack und Magneto (Michael Fassbender) in einem Hochsicherheitsgefängnis innerhalb des Pentagons. Logan hat also alle Hände voll zu tun, um die X-Men auf die richtige Spur zu bringen und die Welt vor ihrem Untergang zu bewahren. Was wie eine simple Heldenreise klingt, ist in Wirklichkeit ein stark Charakter-orientierter Ensemblefilm, der trotz des Siegels "Comicverfilmung" unglaublich Figuren-zentriert ist und die visuellen Effekte offensichtlich trotz ihrer Perfektion nur als ein Mittel zum Zweck einsetzt. Logan muss sich mit pubertären Jungs wie Hank (Nicholas Hoult) oder Quicksilver (Evan Peters) rumschlagen, Charles von seiner Mission überzeugen, Magneto befreien und Mystique zur Besonnenheit rufen. All das geschieht parallel zur Handlung in der Zukunft, in der die Sentinels das Versteck der überlebenden Mutanten aufgespürt haben und fast bis zum zeitreisenden Wolverine vorgedrungen sind - was ihrer aller Tod bedeuten würde.

Über zwei Stunden dauert Singers exzellentes Heldenabenteuer und selten hat man so mit Comicfiguren gelitten und gebangt: Dramatisch inszeniert, visuell atemberaubend und mit einem emotionalen Score von John Ottman unterlegt, ist am Ende wirklich alles möglich. Dass dabei keine wahre Flutwelle an Computeranimationen losgetreten wird, ist eine wahre Freude und ein Hochgenuss, den man gar nicht mehr kannte in den letzten Jahren der MARVEL- und DC-Filme. Wenn Logan und Co. in ihren schrillen, hippen Klamotten durch die 1970er Jahre wandeln ist das ein Genuss für Auge und - dank des coolen Soundtracks - Ohr. Sehr viele On-Set-Aufnahmen, tolle Ausstattung und großartige Kameraarbeit von Singers Stammkameramann Newton Thomas Sigel, der hier stilvolle Retroaufnahmen im Vollbildformat immer wieder mit einbindet. Eines von vielen Highlights des Films ist zweifelsohne die großartige Befreiungsaktion Magnetos aus dem Pentagon. Evan Peters gibt hier eine - pardon - sau coole Vorstellung als Quicksilver, die Inszenierung in super Slow Motion ist jetzt schon eine der genialsten Filmszenen des Jahres. Hugh Jackman darf wieder einige herrliche Oneliner zum besten geben, Nicholas Hoult ist wieder schön naiv-sympathisch, James McAvoy wechselt sehr schön vom heruntergekommenen Pöbel-Professor zum weisen Beschützer und Michael Fassbender gibt erneut eine fiese, undurchsichtige Magneto-Performance.

Und wenn das epische Ende dann zu vorüber ist und eine der emotionalsten, schönsten Szenen, die man je in einer Comic-Verfilmung erleben durfte vor Nostalgie über fast 15 Jahre X-Men-Filmgeschichte nur so strotzt, dann hat man immer noch zwei Highlights vor sich: Die letzte Einstellung vor dem Abspann sorgt nämlich innerhalb von wenigen Sekunden dafür, dass der Zuschauer die besagten letzten 15 Jahre, bzw. die bisherigen sieben X-Men-Filme neu überdenken muss - und die Post-Credit-Szene (die es natürlich gibt!) ist dann das i-Tüpfelchen, das die Wartezeit bis zum 19. Mai 2016 unerträglich in die Länge zieht. Und so ist X-Men: Zukunft ist Vergangenheit am Ende einer der besten Blockbuster des Jahres.

★★★★☆


Originaltitel: X-Men: Days of Future Past

Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Simon Kinberg
Musik: John Ottman

Darsteller:
Hugh Jackman ... Logan / Wolverine
James McAvoy ... Charles Xavier (jung)
Patrick Stewart ... Charles Xavier (alt)
Michael Fassbender ... Erik Lehnsherr / Magneto (jung)
Ian McKellen ... Erik Lehnsherr / Magneto (alt)
Jennifer Lawrence ... Raven / Mystique
Nicholas Hoult ... Hank / Beast
Evan Peters ... Peter / Quicksilver
Halle Berry ... Storm
Ellen Page ... Kitty Pryde
Peter Dinklage ... Dr. Bolivar Trask
Shawn Ashmore ... Bobby / Iceman
Omar Sy ... Bishop
Josh Helman ... Major Bill Stryker
Lucas Till ... Havok
James Marsden ... Scott Summers / Cyclops
Famke Janssen ... Jean Grey
Anna Paquin ... Rogue

USA 2014, 131 Min.
20th Century Fox
Kinostart: 22.05.2014
FSK 12

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