Kommentar: Die Hölle, das sind die anderen

Willkommen in der Hölle Hollywoods. Seit vor ein paar Wochen die US-amerikanischen Schauspielerinnen Rose McGowan (Charmed) und Ashley Judd (Doppelmord) den mächtigen Filmmogul Harvey Weinstein, gemeinsam mit seinem Bruder Bob Gründer der Weinstein Company, der sexuellen Belästigung öffentlich anklagten, ist die Stadt der Stars und Sternchen zur Stadt der Supernova geworden. Weinstein wurde innerhalb weniger Tage von dutzenden Frauen der Belästigung und gar der Vergewaltigung angeklagt, dem Oscar-nominierten Autor und Regisseur James Toback (Bugsy) werfen über 200 (!) Frauen vor, sie belästigt, vor ihnen masturbiert oder sie vergewaltigt zu haben. US-Komiker Louis C.K. soll sich ebenfalls vor Frauen entblößt haben - in der New York Times hat er die Anschuldigungen mittlerweile bestätigt. Regisseur und Produzent Brett Ratner (X-Men: Der letzte Widerstand, The Revenant) soll sechs Frauen belästigt und sie zum Oralsex gezwungen haben - unter ihnen auch Schauspielerin Natasha Henstidge (Species). Und Hollywood-Legende Dustin Hoffman (Rain Man, Kramer gegen Kramer) soll eine damals 17-jährige am Set von Volker Schlöndorffs Tod eines Handlungsreisenden belästigt  und begrapscht haben. Der deutsche Regisseur verteidigt den zweifachen Oscar-Preisträger, Meryl Streep, die gemeinsam mit Hoffman in Kramer gegen Kramer vor der Kamera stand, ließ über ihr Management verlauten, es gab Ende der 70er Jahre zwar einen "Vorfall", Hoffman habe sich aber dafür entschuldigt und für Streep sei die Sache damit erledigt gewesen.

Und nun Kevin Spacey. Der Oscar-Preisträger (Die üblichen Verdächtigen, American Beauty) soll 1986 auf einer Party den damals 14-jährigen Anthony Rapp (Rent, Star Trek: Discovery) sexuell belästigt haben. Spacey, damals 27 Jahre alt, reagiert mit einem unglücklichen Statement: Er könne sich nicht daran erinnern, war betrunken und außerdem... schwul. Wer auch immer Spacey erzählt hat, ein Coming out sei im Zusammenhang mit einer sexuellen Belästigung eine gute Idee, sollte dringend ins Weiße Haus gehen und dort für den US-Präsidenten Donald Trump arbeiten. Dann ist ebenjener vielleicht doch schneller weg vom Fenster, als wir zu Träumen gewagt haben. In jedem Fall konnte Spacey nichts Dümmeres machen, als seine Homosexualität, zu der er sich nun nach Jahren der brodelnden Gerüchteküche endlich bekennt, in ein und dem selben Atemzug zu erwähnen, in dem er sich für eine schwere sexuelle Nötigung entschuldigt. Aus der LGBT-Bewegung hagelte es - verständlicherweise - Kritik, der Streaming-Gigant Netflix unterbricht die Produktion der neuesten House of Cards-Staffel und Kevin Spaceys Karriere scheint ein abruptes Ende gefunden zu haben: Wenige Tage später verkündet Netflix, Spacey sei gefeuert worden, der Serien-Kracher werde abgesetzt und der bereits abgedrehte Spacey-Film Gore werde vermutlich nie das Licht der Welt (und der Kinoleinwände und TV-Bildschirme) erblicken. Gleichzeitig melden sich mehr und mehr Männer, die Spacey vorwerfen, er habe sie in London, als der Oscar-Gewinner Kurator des Old Vic Theatres war, belästigt. Und dann das: Sony Pictures und Regisseur Ridley Scott haben verkündet, dass Kevin Spacey aus Scotts neuestem Film - der seit einem Monat komplett fertig ist und auf seinen Kinostart am 20. Dezember wartet - raus geschnitten wird... und seine Szenen unter Mitwirkung des Casts um Mark Wahlberg und Michelle Williams mit Oscar-Preisträger Christopher Plummer neu gedreht werden. Und das alles in den nächsten 10 Tagen - denn den Kinostart Ende Dezember will das Studio ebenso wenig aufgeben, wie die vorgesehene Oscar-Kampagne. Nur dass dann nicht, wie bis vor wenigen Tagen noch vollkommen sicher, Kevin Spaceys Schauspielleistung beworben wird - sondern vermutlich die von Christopher Plummer.

Hollywood schreibt seine eigenen Gesetze, seine eigenen Regeln. Ein frauenfeindlicher Tyrann wie Harvey Weinstein, der zweifelsohne Frauen belästigt und bedrängt hat, der Rose McGowan gar von Geheimagenten, die sich als Frauenrechtler ausgaben, beschatten ließ (alleine das macht die Geschichte als solche schon filmreif - und hey... es ist Hollywood: warten wir noch zehn Jahre, dann gibt das einen sicheren Oscar-Kandidaten)... ja, solch ein Mensch muss bestraft werden. Von einem Gericht, das die Vorwürfe belegt und dafür sorgt, dass Weinstein nie wieder die Gelegenheit hat, Frauen so etwas anzutun. Doch man muss hier mit zweierlei Maß messen: Bewiesene Vergehen gehören bestraft - doch was ist mit Vorwürfen, die keinerlei Belege vorweisen können? Jeder - wirklich jeder - kann behaupten, er wäre von Person X belästigt worden. Und ja, diese Menschen haben das Recht dazu, ihre Stimme zu erheben und ihre Peiniger anzuklagen. Aber es muss doch klar sein, dass dies nicht ohne Beweise funktioniert. Kaum hebt einer den Finger, folgen dutzende andere. Dass da auch falsche Vorwürfe mit dabei sind, darf überhaupt nicht erst ausgeschlossen werden. Doch Hollywood übertrifft sich aktuell selbst - es ist wie im Wilden Westen. Jeder schießt um sich, bezichtigt hier und dort einen Prominenten, dies oder das getan zu haben. Gossip Girl Darsteller Ed Westwick muss sich derzeit gegen die Vergewaltigungsvorwürfe von Schauspielerin Kristina Cohen wehren. Westwick für seinen Teil behauptet, er kenne Cohen überhaupt nicht, die Polizei von Los Angeles hat die Ermittlungen derweil aufgenommen. Es mag irgendwie an die Jagd auf die (vermeintlichen) Kommunisten in den Tagen von Joseph McCarthy, als sich Hollywood gegenseitig denunzierte, erinnern. Aber es geht hier zweifelsohne um Vergewaltigungen und Belästigungen - doch muss man sich fragen, ob derzeit nicht alles ein wenig aus dem Ruder läuft. Im glamourösen Hollywood, in dem Woody Allen und Roman Polanski, beide seit Jahrzehnten des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen beschuldigt, immer noch aktive Filmemacher sind und vor allem Allen nach wie vor mit A-Stars der Traumfabrik Jahr für Jahr Filme inszeniert, ist das zudem mehr als zweifelhaft und schizophren.

Kevin Spaceys Karriere ist so oder so zu Ende. Der Mann, der noch nie als großer Sympathieträger galt, aber schauspielerisch zu den ganz großen seiner Generation zählte, ist - egal wie die Anschuldigungen gegen ihn letztendlich gewertet werden - gebrandmarkt. Und wenn er am Ende noch so unschuldig wäre... kein großes Studio würde jemals wieder einen Film mit ihm drehen. Eine Behauptung genügt, um Existenzen zu zerstören. Sollte man sich jetzt nie wieder einen Film mit Kevin Spacey ansehen? Nein. Auf keinen Fall. Spacey als Mensch mag - wenn sich die Vorwürfe denn am Ende bewahrheiten - menschlich versagt haben. Als Schauspieler ist er aber schon immer sehenswert gewesen. American Beauty wird nicht auf einmal ein schlechter Film und Die üblichen Verdächtigen verliert auch jetzt nichts von seiner ausgeklügelten Handlung und Spaceys triumphalen Schauspiel. Tom Cruise ist auch trotz Scientology immer noch ein großer Actionstar, Mission: Impossible 6 steht ganz oben auf den Must-See-Listen für 2018, Die nackte Kanone ist auch dank O.J. Simpson weiterhin ein Feuerwerk der Lachsalven und John Wayne für alle Zeiten der größte amerikanische Western-Held - auch wenn er die amerikanischen Ureinwohner als egoistisch, die Sklaverei als weniger schlimm und den Vietnamkrieg als gute Sache bezeichnete.

Hollywood war schon immer die Hölle auf Erden. Und wir, die Zuschauer, werden auch weiterhin einen Blick hinein wagen.

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