Filmkritik: Sicario
Der Drogenkartell-Thriller ist wohl vor allem ein US-amerikanisches Subgenre. Der sogenannte "War on Drugs" wurde in der Fernsehserie und Michael Manns Kinoadaption Miami Vice oder Oliver Stones Savages, im Drama Maria voll der Gnade, in Klassikern wie French Connection oder Scarface und im Oscar-prämierten Traffic von Steven Soderbergh gezeigt. Denis Villeneuves Sicario zeigt nun allerdings eine andere Seite des Drogenkrieges. Die der intensiven Planung gewissermaßen. Denn in dem überaus spannenden Film des Kanadiers, der schon mit Prisoners und Enemy zwei atmosphärisch packende Filme vorgelegt hat, wird vor allem viel gesprochen - und dann auch wieder viel geschwiegen. Aber dafür weder viel gerannt, noch geschossen, noch gehetzt und gejagt.
Emily Blunt spielt die junge FBI-Agentin Kate Macer, die mit einem Spezialteam über die US-Grenze nach Mexiko geschickt wird, um dort den Kampf gegen die Drogenkartelle zu unterstützen. Doch ihr Einsatzleiter und dessen mexikanischer Kollege haben eine fragwürdige Vorgehensweise - und eine dunkle Vergangenheit. Und so ist Macer mehr Zuschauer als Beteiligte in dieser undurchschaubaren Operation, wird benutzt, manipuliert und muss am Ende um ihr eigenes Leben fürchten. Immer wieder zweifelt sie an den Methoden ihrer Vorgesetzten, wehrt sich aber nicht ausreichend dagegen.
Sicario ist zunächst einmal wunderschön fotografiert: Kamera-Legende Roger Deakins, bislang satte zwölf Mal erfolglos für einen Oscar nominiert – unter anderem für Villneuves Prisoners, für den Bond-Film Skyfall und bislang fünf Filme der Coen-Brüder –, zaubert hier malerische Landschaftsbilder der mexikanischen Grenzregion auf die Leinwand, so trostlos und doch voller Leben, so ruhig und doch so ereignisreich. Es gibt Momente im Film, in denen die Kamera eine gefühlte Ewigkeit ruhig über die Landschaft gleitet, Sand und Hügel einfängt, und seine spannende Geschichte für einen Augenblick vergisst. Zu dieser intensiven Atmosphäre trägt natürlich auch die Musik von Jóhann Jóhannsson (Die Entdeckung der Unendlichkeit) bei: Mit bedrohlichen Klängen, Trommeln und lang gezogene Geigentöne nutzt der Isländer hier am liebsten, baut der Film seine Spannung auf (audio)visueller Ebene auf, während inhaltlich für den Moment vielleicht gar nicht allzu viel geschieht.
Das könnte man nun auch als Kritikpunkt sehen, dass der Film nur schwermütig voranschreitet und den Zuschauer durchaus zwei Stunden lang fordert, den zunächst unscheinbaren, später dann immer intensiver aufkeimenden Entwicklungen weiter zu folgen. Sicario ist eben, das ist spätestens zur Filmmitte hin klar, kein gewöhnlicher, vor allem aber kein actiongeladener und sich in Ereignissen überschlagender Drogen-Thriller wie so viele seiner Hollywood-Kollegen (man werfe nur mal einen Blick auf Bad Boys oder ähnliche Actionthriller). In jedem Fall ist Villeneuves Film ein von seinen starken Darstellern getragenes Werk: Emily Blunt überzeugt (wie in eigentlich jeder Rolle) als taffe, aber auch verletzbare junge Frau, die die Wahrheit herausfinden will, dabei aber immer tiefer in einen gefährlichen Sumpf gerät. Benicio Del Toro gibt den wortkargen, mysteriösen Mexikaner, der den US-Behörden assistiert - und dennoch irgendwie sein eigenes Ding macht. Josh Brolin ist es allerdings, der für einige der besten Szenen des Films verantwortlich ist. Routiniert wie immer ist er vor allem in der erste Hälfte als lässiger, untypischer Drogenfahnder unterwegs, nur um am Ende auch seine dunkle Seite zu offenbaren.
Sicario braucht einen Moment, bis er seine Tragweite und Intensität auf den Zuschauer übertragen hat, doch wenn der sich auf das ungewöhnliche Spiel eingelassen hat, wird er von einer packenden, bedrohlichen Atmosphäre, erzeugt durch tolle Bilder und Musik, und starken Darstellern begeistert sein. Denis Villeneuves Film ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, doch das waren auch seine bisherigen Filme nicht: Der Kanadier hebt sich weiterhin stark ab von gängigen Hollywood-Formeln und -Regeln – und ist ein bisschen so wie seine Filme selbst: rätselhaft.
Originaltitel: Sicario
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Taylor Sheridan
Kamera: Roger Deakins
Schnitt: Joe Walker
Musik: Jóhann Jóhannsson
Darsteller:
Emily Blunt ... Kate Macer
Josh Brolin ... Matt
Benicio Del Toro ... Alejandro
Jon Bernthal ... Ted
Jeffrey Donovan ... Steve Forsing
Victor Garber ... Jennings
Lora Martinez-Cunningham ... Jacinta
USA 2015, 121 Min.
StudioCanal
Kinostart: 1. Oktober 2015
FSK 16
Trailer:
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