Filmkritik: The Commuter

Es ist ein bisschen wie bei Alfred Hitchcocks Der Fremde im Zug: Zwei vollkommen fremde Menschen treffen in einem Zug aufeinander, der eine schlägt dem anderen eine mörderische Aufgabe vor, der andere hält sie für einen makaberen Scherz und befindet sich schon bald in einem mehr als realistischen Albtraum wieder. Während Hitchcock die Patricia Highsmith-Geschichte bravourös und packend inszenierte, versucht Action-Spezialist Jaume Collet-Serra den Spagat zwischen Kriminalgeschichte und Actionspektakel: In seinem Commuter soll Liam Neesons Michael McCauley eine ihm unbekannte Person in einem Pendlerzug finden und töten - dafür bekommt er 100.000 Dollar. Natürlich hält McCauley das Ganze für einen makaberen Scherz, findet kurz darauf aber ein Päckchen mit der versprochenen Anzahlung von 25.000 Dollar. Ab jetzt läuft die Zeit gegen ihn: Bis zur Endstation hat er Zeit, den Auftrag auszuführen - oder seine eigene Familie wird sterben. Endstation Sehnsucht, sozusagen.

Was wie ein Hitchcock-Thriller beginnt, entwickelt sich natürlich schon bald in einen der austauschbaren Actionthriller, die Collet-Serra so gerne mit Liam Neeson dreht: Nach Unknown Identity, Non-Stop und Run All Night arbeiten der Spanier und der Nord-Ire bereits zum vierten Mal zusammen - und jedesmal wird Neesons Charakter vor eine extreme Ausgangslage gestellt: Seine Identität wurde gestohlen, ein Terror-Anschlag in einem Flugzeug muss verhindert werden, der Sohn muss vor der Mafia beschützt werden - und nun also die Familie vor dem bösen Unbekannten beschützt werden. Das ist bei The Commuter zunächst vor allem deswegen unterhaltsam, weil Collet-Serra an Humor nicht geizt und es sehr gut versteht, auf engstem Raum visuell zu überzeugen. Ob die kompakte Zugtoilette oder ein verstecktes Fach im Boden eines Wagons - kleine Räume werden zu wichtigen Handlungsorten. Auch die Eingangssequenz ist virtuos inszeniert: Mit guten Schnitten und Zeitraffern zeigt der spanische Regisseur den Alltag seines Protagonisten über viele Jahre hinweg. Immer wieder dieselben alltäglichen Dinge - Aufstehen, zur Arbeit fahren, von der Frau verabschieden - in unterschiedlichen Lebenslagen und Jahreszeiten. Warm, kalt, gut gelaunt, im Streit mit der Gattin, verliebt, betrübt, ernüchtert vom tristen, immer gleichen Leben.

Doch dann steuert nicht nur der Zug unaufhaltsam auf seinen Zielbahnhof zu, auch The Commuter, der Pendler Liam Neeson, muss einen Abschluss finden. Und der gipfelt natürlich in einer actiongeladenen Zugentgleisung samt Plottwist, den man allerdings schon frühzeitig erahnt, da Collet-Serra am Ende doch nur Konventionen bedient und Schema F anwendet: Natürlich ist nicht jeder der, der er vorgibt zu sein - und natürlich ist auch der, den man frühzeitig auf Grund des stereotypischen Auftretens für den Schurken hält, letztendlich ein guter Kerl. Zu unglaubwürdig ist die finale Verschwörung, zu altbacken die Lösung der Geschichte. Hier wäre ein bisschen mehr Hitchcock und ein bisschen weniger Tony Scott doch ratsam gewesen, sprich: Schauwerte, auch gute, sind nicht alles, am Ende ist es doch die Geschichte, von der ein guter Film meist lebt.

★★★☆☆


Originaltitel: The Commuter

USA/UK 2018 | Studio Canal | 105 Minuten | FSK 12 | D-Start: 11. Januar 2018
Regie: Jaume Collet-Serra | Drehbuch: Byron Willinger, Philip de Blasi & Ryan Engle | Kamera: Paul Cameron | Schnitt: Nicolas De Toth | Musik: Roque Baños | Darsteller: Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill, Jonathan Banks, Elizabeth McGovern, Killian Scott, Shazad Latif, Andy Nyman, Clara Lago, Roland Moller, Florence Pugh, Dean-Charles Chapman

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