Filmkritik: The Artist

Nachdem in britischen Kinos Besucher ihr Geld zurück verlangt hatten, weil in The Artist zu wenig gesprochen wird, muss man sich fragen: Wissen diese Menschen eigentlich, was ein Stummfilm ist? Nach dem Kinobesuch von Michel Hazanavicius hochgelobtem Film wird allerdings klar, dass besagte Briten gar nicht so dumm waren, wie es den Anschein gemacht hatte: Es wird nämlich gar nicht „zuwenig“ geredet für einen „Stummfilm“ – denn The Artist ist gar kein klassischer Stummfilm. Und ja: Es wird geredet. Der Film, der schon den Golden Globe für die beste Komödie, den besten Regisseur und den besten Hauptdarsteller gewonnen hat und mit 10 Nominierungen auch einer der großen Favoriten bei der diesjährigen Oscarverleihung ist, ist eine Hommage an den Stummfilm, eine Liebeserklärung an das Kino der 20er Jahre. Oder doch nicht?

Der überaus erfolgreiche und beliebte Stummfilmstar George Valentin (Jean Dujardin, 39,90; Kleine wahre Lügen) hat ein Problem: Den Tonfilm. Denn der kommt unaufhaltsam auf ihn zu und George weigert sich schlicht und einfach einen Tonfilm zu drehen. Die Menschen wollen ihn sehen und nicht hören. Sein Filmproduzent (großartig und absolut perfekt besetzt: John Goodman, The Big Lebowskis) sieht das allerdings anders und setzt auf Tonfilme mit dem aufkommenden Star Peppy Miller (Bérénice Bejo, Ritter aus Leidenschaft). George dagegen wendet sich von seinem Stammproduzenten ab und dreht einen eigenen Stummfilm – ohne Erfolg. Es folgen der finanzielle Ruin, ein fast tödlich ausgehender Unfall und ein Selbstmordversuch. Gleichzeitig versucht Peppy allerdings, ihren einstigen Helden, in den sie sich verliebt hat, zu retten.

Die Geschichte ist so banal und altbacken, dass es ärgerlich ist. Endlich kommt ein mutiger Regisseur wieder auf die Idee, einen klassischen Stummfilm zu drehen und dann nutzt er eine so banale Geschichte. Natürlich ist der Plot, dass der Tonfilm den Stummfilm abgelöst und manche Stummfilmstars untergegangen sind, nett und sogar wahr, aber man hätte sich doch von solch einem Stummfilm mehr erwartet. So bekommt man von den Machern eine technisch tolle Arbeit, die inhaltlich allerdings enttäuscht.Doch auch die technische Seite des Films ist nicht makellos: Die Idee, in einem Albtraum Georges, plötzlich Ton einzusetzen, ist so kongenial, dass Hazanavicius sie schamlos ausnutzt. Während die Schreckensvision, alle können Sprechen und Geräusche sind überall – nur George bleibt stimmlos, gelungen ist, nimmt die Idee am Filmende überhand: Alle können sprechen. Nun kann man durchaus sagen, dass das inszenatorisch intelligent gemacht ist: Am Ende hat auch George den Tonfilm akzeptiert. Doch die vorherige Tonsequenz ist und bleibt ein Traum. Viel sinnvoller wäre es gewesen, ab diesem Traum alle sprechen zu lassen außer George, der sich dem Tonfilm noch verweigert. Wieso können die anderen erst laut sprechen, nachdem er selbst den Tonfilm akzeptiert hat? Klar wären dann nicht zwei sondern 20-30 Minuten Tonfilm gewesen, doch es hätte The Artist nicht geschadet, sondern seine Aussage noch mehr unterstützt. So bleibt der Ton am Filmende nichts als ein kleiner Scherz am Rande, eine nette Idee. Den Sinn hinter dieser Idee allerdings hat man nicht effizient genug genutzt.

Schauspielerisch kann der Film allerdings weitestgehend überzeugen, vor allem John Goodman passt so gut in seiner Rolle, man hätte ihn zweifelsohne schon vor 90 Jahren in einem Stummfilm einsetzen können. James Cromwell spielt ebenfalls gut, Jean Dujardin übertreibt das eine oder andere mal ein wenig mit seinem etwas überdrehten Spiel, passt aber davon abgesehen sehr gut in seine Rolle. Bejo jedoch wirkt die ganze Zeit, als sei sie aus einem anderen Jahrzehnt (was ja auch stimmt). Irgendwie wirkt sie zu modern. Die Musik von Ludovic Bource hätte etwas effektiver sein können, gegen Ende kommt der Score nochmal in Fahrt, vor allem in der Mitte allerdings wirkt er recht einfallslos. Michel Hazanavicius ist mit The Artist ein durchaus sehenswerter und netter Film gelungen, der allerdings weder oscarreif noch meisterlich geworden ist, was er vor allem seiner banalen Geschichte zu verdanken hat, jedoch auch der unausgereiften Idee mit dem Toneinsatz. So bleibt ein weiterer vermeintlicher „Film des Jahres“ hinter seinen Erwartungen und Möglichkeiten zurück und lässt nur ein Fazit zu: Buster Keaton oder Charlie Chaplin haben es schon vor 90 Jahren besser gemacht.

★★★☆☆


Originaltitel: The Artist

Regie: Michel Hazanavicius

Darsteller:
Jean Dujardin ... George Valentin
Bérénice Bejo ... Peppy Miller
John Goodman ... Al Zimmer
James Cromwell ... Clifton
Penelope Ann Miller ... Doris
Missi Pyle ... Constance
Malcolm McDowell ... The Butler
Judy Greer ... Julie Speer

F/BEL 2011, 100 Min.
Delphi
Kinostart: 26.01.2012
FSK 0

Trailer:


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