Filmkritik: Die Entdeckung der Unendlichkeit

Sein Leben lang hat sich Stephen Hawking mit der Zeit beschäftigt - doch dabei war es gerade eben jene Zeit, die ihm die Ärzte Mitte der 1960er Jahre nicht mehr gaben: Dem höchst intelligenten Physiker wurde die schlimme Nervenkrankheit ALS diagnostiziert - zwei Jahre geben ihm die Mediziner noch zu leben. Und als die Zeit fortschreitet und sich Hawking weiterhin bemüht, seine Theorien über den Ursprung der Zeit zu be- (oder auch wieder-)legen, tritt eine Frau in sein Leben, die nicht von seiner Seite weichen wird, ihn heiratet und drei Kinder mit ihm bekommt. Die Entdeckung der Unendlichkeit ist auf dem Papier ein recht konventionelles Biopic, doch wenn man nach dem Abspann noch einmal kurz die Zeit zurückdreht, stellt man fest, dass es gar nicht nur ein Film über den berühmten Physiker, sondern ebenso eine Betrachtung der inneren Konflikte seiner Frau Jane ist, den Oscar-Preisträger James Marsh (Man on Wire) hier inszeniert hat.
In jungen, noch gesunden Jahren, begegnet Hawking (Eddie Redmayne, My Week with Marilyn, Les Misérables) auf Jane (Felicity Jones, The Invisible Woman, Like Crazy) - und es funkt sofort zwischen den beiden. Schon nach den ersten zehn Minuten drängt sich unweigerlich der Vergleich zu Ron Howards A Beautiful Mind auf. Ein intelligenter, junger Wissenschaftler, seine Studienzeit, seine unübersehbare Krankheit (bei John Nash, gespielt von Russell Crowe, war es Schizophrenie) und vor allem: die eine Frau in seinem Leben. Im Grunde verlaufen beide Filme nach dem selben Schema: Der Wissenschaftler, sonst eigentlich sehr schüchtern und menschenscheu, spricht das hübsche Mädchen an, sie ist sofort fasziniert von dem intelligenten, aber irgendwie seltsamen Menschen, sie verliebt sich in ihn - und heiratet ihn. Doch die Krankheit wird immer schlimmer. Während Hawking durch einen weiteren Zwischenfall die Fähigkeit zu Sprechen verliert, werden Nashs Einbildungen immer heftiger, immer intensiver, immer folgenschwerer. Und am Ende gingen beide Beziehungen doch zu Grunde - die Krankheit hat die Liebenden letztendlich doch voneinander entfernt.

James Marsh inzeniert seine Entdeckung der Unendlichkeit leider etwas zu konventionell und einfach auch zu nah am genannten A Beautiful Mind. Es ist eine so offensichtliche Award-süchtige Kopie, die nicht allzu viele eigenständige Ideen zeigt, dass man eigentlich verärgert darüber sein sollte. Doch dann sind da die vielen schönen Momente, in denen Eddie Redmayne und die bezaubernde Felicity Jones sich ansehen, miteinander lächeln oder tanzen. Gerade die ersten 20 Minuten sind farbenprächtiges, allerschönstes Wohlfühlkino. Und wo Ron Howard noch mehr auf die wissenschaftliche Arbeit John Nashs eingegangen ist, wendet sich Marsh mehr und mehr von Stephen Hawking ab und entwickelt in der zweiten Filmhälfte viel mehr ein Portrait der verzweifelten, hilflosen Frau und dreifachen Mutter, die in Familienfreund Jonathan (Charlie Cox, Der Sternwanderer) einen Fluchtweg aus ihrem in die Brüche geraten Leben findet. Aus dem Liebesfilm wird ein Liebesdrama, der Wissenschaftler Hawking wird phasenweise fast zur Randfigur.

Wesentlicher Bestandteil fast jedes schönen Moments des Films ist die unglaublich schöne Musik des Isländers Jóhann Jóhannsson (Prisoners), während die Bilder von Kamermann Benoît Delhomme (The Proposition, Lawless) vor allem auch am Filmanfang zu begeistern wissen, wenn die Lebensenergie der beiden Protagonisten auf dem Universitätsfest noch ungebrochen ist und kräftige Farben und ruhige Kamerafahrten dominieren.

Ein bisschen weniger A Beautiful Mind hätte James Marshs Film vermutlich ebenso gut getan, wie eine etwas unkonventionellere Inszenierung. Zu beobachtend, ja: zu dokumentarisch ist vor allem die zweite Filmhälfte des Dokumentarfilm-Oscar-Preisträgers geraten. Dennoch hat Die Entdeckung der Unendlichkeit vor allem zu Beginn einige wunderbare Momente, die auch für feuchte Augen sorgen und mit seinem tollen Darstellerensemble, allen voran natürlich der großartige Eddie Redmayne, und dem wunderschönen Score von Jóhann Jóhannsson kann der Film natürlich auch sehr gut punkten.

★★★★☆


Originaltitel: The Theory of Everything

Regie: James Marsh
Drehbuch: Anthony McCarten
nach dem Buch von Jane Hawking
Kamera: Benoît Delhomme
Musik: Jóhann Jóhannsson

Darsteller:
Eddie Redmayne ... Stephen Hawking
Felicity Jones ... Jane Hawking
David Thewlis ... Dennis Sciama
Charlie Cox ... Jonathan Hellyer Jones
Emily Watson ... Beryl Wilde
Simon McBurney ... Frank Hawking
Charlotte Hope ... Philippa Hawking
Christian McKay ... Roger Penrose
Adam Godley ... Senior Doctor

UK 2014, 123 Min.
Universal Pictures
Kinostart: 25. Dezember 2014
FSK 0

Trailer:

Kommentare