Filmkritik: American Sniper

Was kann man von einem Film erwarten, in dem der Scharfschütze mit den meisten Tötungen der US-Geschichte portraitiert wird? Nun, zunächst einmal viele Kugeln, die einen Gewehrlauf verlassen. Über 160 bestätigte Abschüsse gehen auf das Konto von Chris Kyle, der in Clint Eastwoods American Sniper von Bradley Cooper gespielt wird. Es stellt sich die Frage, ob man einen Menschen wie ihn als Sympathieträger darstellen kann, ob man seine Beweggründe und Gedanken vermitteln kann. Leider gelingt dies Eastwood nur schemenhaft.

Die Handlung setzt ein, als Kyle gerade im Irak auf einem Häuserdach liegt und mit seiner Waffe auf einen kleinen Jungen zielt, der eine Granate in der Hand hält. In dem Moment, in dem Kyle den Abzug drückt springt die Geschichte zurück in seine Kindheit, in der er mit seinem kompromisslosen Vater im Wald jagen geht. Wir sehen Kyle, wie er seinen kleinen Bruder auf dem Schulhof verteidigt und einen anderen Jungen blutig schlägt, wie er als junger Mann den Traum hat Cowboy zu werden, auf dem Rücken wilder Pferde Rodeo reitet und in einer Bar seine zukünftige Frau anbaggert. Schon nach zehn Minuten ist Chris Kyle weit davon entfernt ein wahrer Sympathieträger zu werden - und das wird auch bis zum Schluss so bleiben. Das ist es, was man Clint Eastwood, bekennender Republikaner und dennoch ebenso bekennender Kriegsgegner, hier zugestehen muss: Er verherrlicht weder Kyles Taten, noch seinen Charakter selbst. Im Gegenteil: Cooper spielt den Scharfschützen hier mit einer dauerhaften Unsicherheit, mit einer übertriebenen Portion Patriotismus und Aggressivität, der nur seine Frau Taya (Sienna Miller) entgegen zu wirken versucht.

Zieht man Eastwoods politische Ansichten in Betracht, muss man davon ausgehen, dass dieser Patriotismus keineswegs die Meinung des Regisseurs ist, sondern vielmehr die akkurate Darstellung und kritische Sicht eines Kriegsgegners ist, der seinen Landsleuten vor Augen führen will, welche Fehler sie begangen haben. Immer wieder betonte Eastwood, dass er gegen eine US-Beteiligung an Überseekriegen (wie Korea, Vietnam oder aktueller Irak und Afghanistan) ist. (Davon abgesehen, dass er aktuell wieder Ansichten äußerte, die mit der republikanischen Linie nicht konform gehen, wie das Recht auf Abtreibung, die Homo-Ehe oder den Umweltschutz.) Wenn am Ende des Films reale Aufnahmen gezeigt werden von Amerikanern, die an der Straße und auf Brücken stehen um dem Gedenkzug für Chris Kyle beizuwohnen und salutieren und die US-Flagge schwenken wird allerdings mehr als deutlich, wie heroisch Kyle bei vielen seiner Landsmänner angesehen wird - in Texas gibt es seit 2015 gar den Chris-Kylse-Day am 2. Februar.

Fernab der politischen Ansichten des Films ist das 132 Minuten lange Werk allerdings überraschend unspektakulär geworden. Natürlich hat der Film seine starken, packenden Momente, beispielsweise dann, wenn Kyle tatsächlich doch noch einmal so etwas wie ein Gewissen bekommt, als er im Begriff ist, ein Kind zu erschießen. Oder dann, wenn er gebrochen vom Krieg in der Heimat beim Barbecue fast einen Hund erschlägt, der mit seiner Tochter tollt. Aber es gibt auch die immer zu gleichen Einsätze im Irak. Die US-Truppen ziehen von Haus zu Haus, stürmen, schießen, werden beschossen. Kyle erhöht seine Trefferzahl, Soldaten sterben, Iraker massakrieren sich gegenseitig. Es sind teilweise drastische, blutgetränkte Bilder, die aber mit dem Lauf der Zeit an Wirkung verlieren, weil sie irgendwann regelrecht redundant wirken. Zweifelsohne sind der (Oscar-prämierte) Tonschnitt, der Ton und der Schnitt sehr gelungen und auch Bradley Cooper spielt überzeugend, aber die Oscar-Nominierungen für ihn, das Drehbuch oder gar den Film selbst erschließen sich mir kein bisschen.

American Sniper ist zu konventionell, zu eintönig und leider auch zu lang. Hier mag es um einen Menschen gehen, dessen Beruf es war, Menschen zu töten und der nach seinen vier Kriegseinsätzen nicht mehr derselbe Mann war. Doch Eastwood hätte besser daran getan, noch mehr Zeit mit ihm in seiner Heimat zu verbringen, die Konflikte dort, mit seiner Familie, auch dem Bruder oder den Eltern, näher zu beleuchten und noch kritischer und intensiver mit der Zeit nach dem Krieg umzugehen, als solche lange Sequenzen im Nahen Osten in den Vordergrund zu stellen, die weder Chris Kyle noch andere Veteranen mit ihren Traumata nach dem Krieg konfrontieren. "Scheiß auf das alles," sagt Chris' Bruder Jeff (Keir O'Donnell) zu Chris, als er den Irak verlässt. Vielleicht wäre seine die deutlich spannendere, wichtigere Geschichte gewesen.

★★★☆☆


Originaltitel: American Sniper

Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jason Hall
basierend auf dem Tatsachenbuch von Chris Kyle, Scott McEwen und James Defelice
Kamera: Tom Stern
Schnitt: Joel Cox & Gary Roach

Darsteller:
Bradley Cooper ... Chris Kyle
Sienna Miller ... Taya
Keir O'Donnell ... Jeff Kyle
Kyle Gallner ... Goat-Winston
Reynaldo Gallegos ... Tony
Jake McDorman ... Biggles
Eric Ladin ... Case
Luke Grimes ... Marc Lee
Mido Hamada ... Der Schlächter
Jonathan Groff ... Young VetMads

USA 2014, 132 Min.
Warner Bros. / Village Roadshow
Kinostart: 26. Februar 2015
FSK 16

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