Filmkritik: Fish Tank













Mia ist 15, wohnt mit ihrer alkoholabhängigen Mutter und der aufmüpfigen kleinen Schwester in einem Hochhaus und hat einen Traum: Sie will Tänzerin werden. Streetdancer. Was zunächst wie ein 08/15-Konzept klingt, entpuppt sich bald als eine der intensivsten und packendsten Teenanger-Studien seit langer Zeit. Katie Jarvis wurde für die Rolle der Mia auf der Straße gecastet, entdeckt, als sie sich mit ihrem Freund am Bahnhof stritt. Ohne schauspielerische Erfahrungen lieferte die damals 17jährige eine unglaublich starke Darstellung ab, die ihr viel Lob, Anerkennung und Preise bescherten. Und wirklich: Jarvis spielt so echt, dass ihre Geschichte einem so richtig unter die Haut geht.

Oscarpreisträgerin Andrea Arnold (für den Kurzfilm Wasp) gewann mit Fish Tank, ihrem zweiten Spielfilm nach Red Road, zum zweiten Mal den großen Preis der Jury in Cannes und hat ihn sich auch zweifelsohne verdient. Sie erzählt das dröge Leben Mias ruhig, kühl und im entscheidenden Moment haut sie alles an Emotionen raus, was nur möglich ist. Diese ungewöhnliche Erzählweise funktioniert bestens, was vor allem den großartigen Darstellern zu verdanken ist. Michael Fassbender (Inglourious Basterds, Hunger) spielt Connor, den neuen Freund von Mias Mutter, und schon bald entsteht eine seltsame Verbindung, eine Art Beziehung zwischen ihm und der deutlich jüngeren Mia.

Denkt man, der Film hat seinen Höhepunkt erreicht, irrt man sich gewaltig. Denn nach dieser alles ändernden Nacht ist der ansonsten bislang gutherzige Mann verschwunden. Auf der Suche nach ihm entdeckt Mia ein verstörendes Geheimnis, dass Connor vor ihr und auch ihrer Mutter verheimlicht hatte. Für die draufgängerische und ansonsten so kalte Mia bricht eine Welt zusammen und all ihre Angst und all ihre Emotionen brechen aus ihr heraus: Sie kennt kein zurück mehr und begeht einen Schritt, der tödlich enden könnte.

Fish Tank ist auf den ersten Blick ein äußerst depressiver, lebensfeindlicher Film ohne Hoffnung und Liebe. Und genau das ist ein Irrtum: Mia ist voll von Liebe und Zuneigung. Nur kann sie das einfach nicht nach Außen hin zeigen. Sie ist einsam, hat keinerlei Freunde. Schon am Filmanfang irrt sie wie ein Fremdkörper durch die Straßen, will ein angekettetes Pferd befreien und wird darauf hin von einer Gruppe Jungs angegriffen. Ihr einziger sozialer Kontakt scheint der jüngere Bruder eines der Angreifer zu sein, mit dem sie sich für eine kurze Zeit trifft. Doch schon bald ist er wieder aus ihrem Leben, zu sehr ist so von Connor angetan. Und das durchaus auch, weil sie in ihm eine Art Vaterfigur sieht.

Konsequent bis zum Schluss zieht Arnold ihr Konzept durch und setzt dabei auf Handkamera-Stil, Hip Hop Musik (und ansonsten kaum Score) und die ruhigen Momente mit Mia. Mit Sicherheit ist Fish Tank kein gewöhnlicher Film, sondern eher ein Werk, an das man sich eventuell zunächst einmal gewöhnen muss. Doch spätestens wenn das geschehen ist erkennt man, welch starker Film hier entstanden ist. Und Katie Jarvis? Die kümmert sich um ihre Tochter - geboren wenige Tage vor der Premiere in Cannes. Der Vater? Ihr Freund, mit dem sie sich am Bahnhof stritt und deswegen überhaupt erst gecastet wurde. Im Grunde selber einen Film wert, diese Geschichte.

Erstmalig veröffentlicht am 20. März 2010
★★★★☆


Originaltitel: Fish Tank


Regie: Andrea Arnold

Drehbuch: Andrea Arnold
Kamera: Robbie Ryan

Darsteller:
Katie Jarvis ... Mia
Michael Fassbender ... Connor
Kierston Wareing ... Joanne
Jason Maza ... Liam
Sydney Mary Nash ... Keira

UK/NDL 2009, 123 Min.
BBC Films
Kinostart: 23.09.2010
FSK 12

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