Filmkritik: Shutter Island













Nebel lichtet sich und eine kleine Insel kommt zum Vorschein, nicht gerade einladend, kein bisschen paradiesisch. Kein geeignetes Urlaubsziel. Martin Scorseses neuester Film Shutter Island ist alles andere als ein angenehmer Zeitvertreib, es ist ein Psychothriller, wie ihn der Meisterregisseur selber noch nie inszeniert hat. Zum nun mehr vierten Mal spielt Leonardo DiCaprio beim Gangs of New York - Macher die Hauptrolle und liefert wieder einmal eine Meisterleistung ab.

Als junger US-Marshall Teddy Daniels kommt er mit seinem neuen Kollegen (Mark Ruffalo) nach Shutter Island, eine im tiefen Ozean gelegene und nur durch eine Fähre ansteuerbare Insel, auf der sich eine Nervenheilanstalt befindet, die einem Hochsicherheitstrakt gleicht. Schon bald ist dem Zuschauer wie auch dem jungen Marshall Daniels klar, dass hier nicht nur die Verrückten durchdrehen, sondern auch er. Eine Patientin ist angeblich verschwunden, doch das Personal gibt sich äußerst verdächtig und unkooperativ, vor allem der Leiter (großartig: Ben Kingsley) scheint vor den Marshalls etwas zu verbergen.

Scorsese weiß von Anfang an, was er will. So überrascht es auch nicht sonderlich, dass man von der ersten Minute an eine Vermutung hat als Zuschauer und diese dann auch bestätigt wird am Ende. Sowieso hat man nach einer guten halben Stunde das Spiel durchschaut - und spinnt sich von nun an seine eigene Geschichte weiter. "Gut aufpassen" ist ein Rat, den man den Zuschauern vor Filmbeginn gerne mitgibt. Nur: Worauf soll man denn "gut aufpassen"? Und siehe da - am Filmende wird einem schlagartig so einiges klar und verlangt sofort nach einer erneuten Sichtung. Denn nach und nach dämmert dem Zuschauer, dass Scorsese schon in der allerersten Einstellung des Films einen Hinweis auf die (scheinbare?) Lösung versteckt hat. Doch was nützt dem Zuschauer nun diese Information? Weder ohne ihr Wissen noch mit kann man viel damit anfangen, wenn man nicht das Ende gesehen hat.

Die Vorstellungskraft des Betrachters wird über zwei Stunden hinweg von gruseligen Nacht- und Schlechtwetter-Aufnahmen beeinflusst, der Ton ist markant, die Musik fast übertrieben deplatziert stellenweise. Da fährt am Anfang des Films ein Auto von der Inselanlegestelle auf die Anstalt zu, die Kamera fliegt über dem Auto hinweg, nichts geschieht und dennoch ist die Musik so grausam laut und Spannung aufbauend, als würde gerade oder in wenigen Sekunden ein Psychopath aus dem Wald stürzen und eine Kindergartengruppe abmetzeln. Überhaupt ist vieles schon fast abartig überzogen inszeniert. Die Insassen der Nervenheilanstalt sind geradezu übertrieben gestört, die Angestellten übertrieben verschlossen und mysteriös. Das Unwetter unglaubhaft gewaltig und je mehr man Daniels bei seinen Ermittlungen folgt, desto häufiger fallen einem solche Details auf.

Mit Shutter Island hat Scorsese hier einen Psychothriller inszeniert, der darstellerisch und optisch absolut überzeugt, der aber - so könnte man jedenfalls zunächst meinen - leider recht vorhersehbar ist und am Ende vielleicht sogar enttäuscht, weil man eigentlich noch einen weiteren Twist erwartet hätte. Doch dann kommt doch noch einmal alles anders. Scorsese spielt regelrecht mit dem Zuschauer und der Vorhersehbarkeit. In jedem Fall ist der Film überaus spannend, atmosphärisch dicht und vor allem dank DiCaprio und Kingsley auch hervorragend gespielt und gehört in die Kategorie "muss man sofort noch ein zweites Mal sehen". Im Grunde sagt das schon alles über die Qualität des Films.

Erstmalig veröffentlicht am  6. März 2010

★★★★☆


Originaltitel: Shutter Island

Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Laeta Kalogridis nach Dennis Lehanes Roman
Kamera: Robert Richardson

Darsteller:
Leonardo DiCaprio ... Teddy Daniels
Mark Ruffalo ... Chuck Aule
Ben Kingsley ... Dr. Cawley
Max von Sydow ... Dr. Naehring
Michelle Williams ... Dolores
Emily Mortimer ... Rachel 1
Patricia Clarkson ... Rachel 2
Jackie Earle Haley ... George Noyce
John Carroll Lynch ... Deputy Warden McPherson
Elias Koteas ... Laeddis

USA 2010, 138 Min.
Paramount Pictures
Kinostart: 25. Februar 2010
FSK: 16
Trailer:

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